Tante Dimity und das verborgene Grab
Verfügung stehen wird.«
Endlich verstand ich ihn. »Peggy wird ihre Versammlung abblasen«, sagte ich, und mir wurde schwindelig vor Erleichterung. »Ich brauche keine Angst vor Sallys faulen Eiern mehr zu haben. Das Erntedankfest kann wie geplant über die Bühne gehen …«
»Mrs Kitchen wird denken, sie ist im Himmel«, rief der Pfarrer, »und die Welt wird wieder in Ordnung sein. Lori, mein liebes Mädchen, ich kann Ihnen gar nicht genug danken.«
»Und was ist mit dem Gladwell
Schriftstück?«, fragte ich.
»Zum Teufel mit dem Dokument«, sagte der Pfarrer. »Wer immer das elende Ding auch geklaut haben mag, er kann es behalten. Lilian, ich glaube, jetzt wäre ein Glas Sherry angebracht, wir müssen diese Nacht feiern.«
Lilian holte die Flasche und schenkte allen ein.
Aber selbst während ich das Glas auf unsere gemeinsame Erlösung hob, wurde ich das Gefühl nicht los, dass irgendwo dort draußen noch Bruder Florin wartete, das GladwellDokument fest in der Hand, und mich auslachte.
23
»DENN GOTT HAT uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den der Kraft.« Der Pfarrer sah von der Kanzel auf die rekordverdächtige Menschenmenge herunter, die die Bankreihen von Saint George füllte und sich bis nach draußen auf den Kirchhof ergoss. »Dieses Wort dürfte einigen von Ihnen bekannt sein. Es stand auf einem Flugblatt, das für heute eine Versammlung in unserem Dorf ankündigte. Man kann es im zweiten Brief des Paulus an Timotheus nachlesen, genauer gesagt im ersten Kapitel, Vers sieben.« Er hob ein goldgelbes Blatt Papier vom Lesepult auf und betrachtete es traurig. »Ich bedaure, sagen zu müssen, dass derjenige, der dieses Pauluswort für das Flugblatt ausgesucht hat, alles andere als präzise war.« Er hielt das Blatt mit ausgestrecktem Arm vor sich hin und riss es langsam entzwei.
Ein erschrecktes Gemurmel lief durch die Gemeinde, hier und da gefolgt von einem Kichern, wobei alle Blicke auf die erste Bankreihe gerichtet waren, wo Peggy Kitchen aufrecht dasaß, neben ihr ein eingesunkener Jasper Taxman.
Beim Geräusch des reißenden Papiers blähten sich ihre Nasenflügel dramatisch auf, und ihre Haltung wurde noch aufrechter, aber ihre Schmetterlingsbrille blieb starr auf die Kanzel gerichtet.
»Um Paulus’ Worte zu verstehen, müssen wir lesen, wie sie vollständig geschrieben stehen.«
Der Pfarrer legte das zerrissene Blatt auf das Lesepult, nahm die schwere Bibel in die Hand und deklamierte mit dramatischer Betonung: »Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit .« Er legte die Bibel wieder hin.
»Der Verfasser des Flugblattes hat die Bedeutung des Pauluswortes verzerrt, indem er den Schwerpunkt auf die Kraft gelegt hat, auf Kosten der Liebe und der Besonnenheit. Wir alle wissen jedoch, dass Kraft allein etwas Verabscheuungswürdiges ist. Kraft muss durch Liebe und durch intelligentes Nachdenken gemäßigt sein, wenn sie im Dienste Gottes und zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden soll.«
Peggy Kitchen zuckte mit keiner Wimper, als ein zustimmendes Gemurmel durch die Kirche ging, aber Jasper Taxmans Schultern senkten sich noch etwas mehr. Ich warf Bill einen kurzen Blick von der Seite zu, um zu sehen, wie er reagierte, aber er sah den Pfarrer nur neugierig an, als sei er gespannt, welche Wendung die Predigt als Nächstes nehmen würde.
»Genauigkeit ist außerordentlich wichtig«, fuhr der Pfarrer fort, »egal, ob man Bibeltexte zitiert oder sich mit dem Nachbarn unterhält.
Wird diese Genauigkeit vernachlässigt, dann kann es zu ernsten Missverständnissen kommen, die wiederum zu Zerwürfnissen und Uneinigkeit führen können.«
»Aha«, sagte Bill leise, »jetzt kommt’s.«
»Ich stehe heute hier«, sagte der Pfarrer, »weil ich hoffe, ein solches Missverständnis auszuräumen …«
Kein Niesen, Husten oder noch so zaghaftes Räuspern unterbrach den Pfarrer, als er seinen Schäfchen die Verwirrung schilderte, die dadurch entstanden war, dass Sally die Entwürfe von Katrinas Finanzierungsanträgen gelesen und falsch verstanden hatte. Er nannte keine Namen und beschuldigte niemanden direkt. Aber nach seinen Ausführungen war auch noch dem Letzten klar, dass entgegen allen Erwartungen Adrian Culver in zwei Wochen das Schulhaus verlassen würde.
»Es gibt keinen einzigen Grund, noch hat es jemals einen gegeben, zu glauben, dass unser schönes Fest abgeblasen werden muss«, schloss er. »Das Erntedankfest,
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