Tante Dimity und der Fremde im Schnee
Kostüm war superb, ein schlichtes weißes Trägerkleid, über dem sie den blauen Umhang trug, mit dem sie bereits vor einigen Tagen in ihrem Schlitten zum Cottage gekommen war. Sie sah unschuldig aus, verletzlich und fast unirdisch schön – und sie schien etwa im dreizehnten Monat schwanger.
»Lady Eleanor«, sagte Lilian höflich, »was tragen Sie unter dem Kleid?«
Nell legte eine Hand auf den angeschwollenen Bauch. »Ein Polsterkissen.«
»Ersetzen Sie es freundlicherweise durch eine kleinere Version«, bat Lilian. »Die Jungfrau Maria hat schließlich keine Vierlinge auf die Welt gebracht.« Die Frau des Vikars hatte mich gesehen und winkte mich nun herbei.
»Wo ist der Vikar?«, fragte ich und zog mir einen Klappstuhl heran. »Ist er nicht der Erzähler?«
»Teddy ist im Pfarrhaus«, antwortete Lilian betrübt, »und kümmert sich um seinen rauen Hals.«
Ich sah sie mitfühlend an. »Heiligabend geht es ihm bestimmt besser.«
»Aber dem Stück nicht«, schimpfte Lilian. »Lori, es ist alles ein Chaos. Mr Farnham droht jeden Augenblick von der Bühne zu stürzen, Peggy Kitchen klappert bei jedem Schritt mit ihren Vorhangringen, und Lady Eleanor besteht darauf, in Ohnmacht zu fallen und sich zu übergeben. Wenn das Stück in dieser Fassung auf die Bühne kommt, werden wir wegen Ketzerei verfolgt werden.«
Ich murmelte etwas davon, dass schlechte Proben ein gutes Zeichen seien, und schließlich fand sie die Fassung langsam wieder.
»Ich sollte mich selbst mal hören«, seufzte sie.
»Da jammere ich die ganze Zeit herum, während der arme Gentleman, den Sie in Ihrer Auffahrt gefunden haben, um sein Leben ringt. Wie geht es ihm, Lori?«
Während ich Lilian über Kit Smith und seinen Zustand informierte, versammelten sich die Dorfbewohner langsam um uns herum und hörten zu. Schließlich erstarb sogar das Geräusch der Nähmaschine, und Jasper Taxman legte seinen Pinsel beiseite.
»Er ist noch immer bewusstlos«, sagte ich abschließend. »Aber sein Zustand ist stabil. Es gibt also Hoffnung.«
»Es gibt immer Hoffnung«, sagte Lilian.
»Teddy hat für ihn gebetet, und er wird das auch weiterhin tun.«
Peggy Kitchen schnaubte. »Bei all der medizinischen Versorgung hat er gar keine Gebete nö tig. Sie haben ihn doch ins Radcliffe fliegen lassen, war’s nicht so, Lori?«
»Die Straßen waren wegen des Schnees unpassierbar. Es war die einzige Möglichkeit, ihn in ein Krankenhaus zu schaffen«, wiederholte ich geduldig.
»Ich hätte mir wegen eines solchen Mannes nicht die Mühe gemacht«, krächzte Able Farnham. »Hätte ihn einfach davongejagt.«
»Er konnte nicht einmal mehr gehen«, wandte ich ein.
»Hat vielleicht nur so getan«, konterte Able Farnham schlau.
»Hatten Sie keine Angst vor ihm?«, fragte George Wetherhead, der auf seinem Gehstock lehnte.
»Nein«, log ich. »Wieso sollte ich …«
»Sie sind zu vertrauensselig, Lori«, warf Sally Pyne ein.
»Es hätte sich ja auch um einen entflohenen Sträfling handeln können«, steuerte Christine Peacock bei.
»Heutzutage weiß man nie«, fügte ihr Ehemann hinzu.
»Er war sicherlich kein …«, begann ich, aber Sally Pyne unterbrach mich.
»Ich würde mir wegen der Bakterien Sorgen machen«, verkündete sie und blickte dabei auf ihre rundlichen, makellosen Hände. »Jeder weiß doch, dass Landstreicher ein dreckiges Völkchen sind.«
»Das stimmt«, mischte sich Peggy Kitchen ein.
»Sie haben Ihre Söhne großen Gefahren ausgesetzt. Sie hätten alle möglichen Krankheiten kriegen können. Oder Läuse. Daran haben Sie wohl nicht gedacht.«
»Er ist kein …«, versuchte ich es erneut, aber dieses Mal unterbrach mich Jasper Taxman.
»Sie sind ein großes Risiko eingegangen«, sagte er tadelnd. »Männer seiner Sorte sind kaum einzuschätzen.«
»Sind doch alles nur Diebe«, fasste Able Farnham zusammen. »Ich hab mal einen erwischt, als er Tomaten aus meinen Kisten stehlen wollte.
Am helllichten Tag.«
»Er muss wohl am Verhungern gewesen sein, wenn er deine Tomaten stehlen wollte«, meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund.
Wir drehten uns gemeinsam um. Wer hatte das gesagt? Es war Mr Barlow, er stand in der Tür, und seine ansonsten gutmütigen Augen blitzten vor Zorn. Buster stand neben ihm und knurrte leise. »Ihr müsstet euch mal hören«, sagte Mr Barlow und zog verächtlich die Lippen nach oben. »Jemanden heruntermachen, ohne auch nur irgendwas über ihn zu wissen.« Er kam in den Raum. »Mein Dad war auch mal auf
Weitere Kostenlose Bücher