Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
mit meiner verwitweten Mutter in einem bescheidenen Mietshaus in einem Arbeiterviertel von Chicago.
Wir waren nicht arm, weil meine Mutter unermüdlich schuftete, damit wir über die Runden kamen. Sicher muss es Tage gegeben haben, an denen sie alles hinschmeißen und mit einem Wanderzirkus hätte durchbrennen wollen, aber sie hat es nie getan. Ihre Liebe zu mir hielt sie stets auf Kurs, so wie auch ihre Freundschaft zu einer Engländerin namens Dimity Westwood.
Im Krieg lebten beide Frauen in London, um dort ihren jeweiligen Ländern zu dienen. Während die deutschen Bomben fielen, freundeten sie sich an, und sie schrieben einander für den Rest ihres Lebens. Ihre transatlantische Korrespondenz wurde für meine Mutter zu einer Zuflucht, in die sie sich zurückziehen konnte, wenn das Leben zu grau und zu schwer wurde.
Meine Mutter hütete ihre Zuflucht sehr. Anstatt mir auf direktem Wege von ihrer Freundin zu erzählen, führte sie Dimity auf recht geheimnisvolle Weise ein, als Heldin einer Reihe von Gutenachtgeschichten. Die starke Tante Dimity war mir so vertraut wie anderen Kindern Dornröschen, aber von der wirklichen Dimity Westwood erfuhr ich erst, nachdem sowohl sie als auch meine Mutter gestorben waren.
Damals stellte sich die echte Dimity als meine Wohltäterin heraus, indem sie mir ein Vermögen und ein honigfarbenes Cottage in den Cotswolds vermachte, dazu ein in dunkelblaues Leder gebundenes Tagebuch. Das Geld rettete mir das Leben, und das Cottage war ein wahr gewordener Traum, aber Dimitys größtes Geschenk an mich war ohne Zweifel das Tagebuch, denn damit ließ sie mir ein Stück von sich selbst zurück.
Buchstäblich.
Immer wenn ich das blaue Buch öffnete, kam Dimity zu mir, in Form einer altertümlichen Handschrift, die man in der Dorfschule zu einer Zeit gelehrt hatte, als die meisten Pflüge noch von Pferden gezogen wurden. Als mich Dimity das erste Mal aus dem Jenseits begrüßt hatte, machte ich mir vor Schreck fast in die Hose, aber die Furcht war schon längst tiefer Dankbarkeit gewichen. Ich konnte mir das Leben ohne meine gute und vertrauenswürdige, wenn auch nicht vollkommen greifbare Freundin gar nicht mehr vorstellen.
Ich schloss die Tür des Arbeitszimmers, schaltete die Lampen auf dem Kaminsims an, nahm das blaue Buch aus dem Bücherregal und machte es mir in einem der beiden Ledersessel gemütlich, die zu beiden Seiten der Feuerstelle standen.
»Dimity?«, sagte ich beim Öffnen des Tagebuchs. »Hast du eine Minute Zeit?« Ich warf einen raschen Blick zur Tür, bevor ich mit einem Lächeln zusah, wie sich Dimitys Worte auf der leeren Seite entfalteten.
Zufälligerweise habe ich sogar mehrere Minuten Zeit , und jede davon steht zu deiner Verfü gung .
»Großartig«, sagte ich. »Ich muss dir höchst erstaunliche Neuigkeiten erzählen. Derek Harris ist ein Viscount .«
Ah . Nach einer kurzen Pause fügte Dimity hinzu: Sind das die erstaunlichen Neuigkeiten?
Damit hatte sie mir den Wind aus den Segeln genommen. »Nun … ja«, sagte ich. Ein oder zwei Ausrufezeichen hatte ich schon erwartet.
Es tut mir leid , meine Liebe , aber ich kann nicht so tun , als sei ich hochgradig verblüfft . Ich kannte Dereks Vater ja sehr gut und sehr lange , musst du wissen . Dereks Stellung innerhalb der Familie Elstyn ist mir wohl bekannt .
Ich unterdrückte ein frustriertes Stöhnen. »Bin ich denn der einzige Mensch in diesem Cottage, der nicht wusste, dass Derek ein hohes aristokratisches Tier ist?«
Ich bin sicher , dass Will und Rob im Dunkeln tappen , was Dereks Titel betrifft .
»Ich wäre mir da gar nicht so sicher«, entgegnete ich. »Wahrscheinlich hat Bill sie schon vor drei Monaten eingeweiht. Damals wurde er Lord Elstyns Anwalt.«
Wie interessant . Edwins Investitionen in Amerika müssen sich gut entwickelt haben , wenn er die Dienste von Willis & Willis in Anspruch nimmt .
»Edwin?«, sagte ich blinzelnd. »Du und Lord Elstyn, ihr habt euch mit den Vornamen angeredet?«
In der Tat . Edwin hat dem Westwood Trust einige großzügige Schenkungen zukommen lassen .
Wenn du in den Archiven nachschaust , wirst du seinen Namen in vielen der Spenderlisten finden .
Der Westwood Trust war die Dachorganisation für eine Reihe von wohltätigen Stiftungen, die Dimity am Herzen gelegen hatten. Als Schirmherrin des Trusts saß ich im Aufsichtsrat und nahm an den Sitzungen teil, aber ich war noch nie auf die Idee gekommen, in den Archiven zu stöbern.
»Lord Elstyn mag dem Trust
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