Tante Dimity und der unbekannte Moerder
bis ihr Auto hinter der Hecke verschwunden war, dann lenkte ich meine Schritte zu unserem Wintergarten.
Es war ein unfreundlicher Apriltag, windig, nass und viel kälter als sonst um diese Jahreszeit, also genau einer von den Tagen, an denen ich gottfroh über den Wintergarten war, der sich über den ganzen hinteren Teil unseres Häuschens erstreckte und meinen Söhnen einen fast gleichwertigen Ersatz fürs Herumtollen im Freien bot, ohne dass gleich eine Lungenentzündung zu befürchten war. Dort widmeten sich Will und Rob jetzt gerade unter den wachsamen Augen ihres Kindermädchens hingebungsvoll dem Zerlegen einer Flotte von Spielzeuglastwagen, die ihnen ihr liebender Großvater in Boston geschenkt hatte.
»Annelise!«, rief ich in der Tür, »hast du einen Moment Zeit?« Sobald die junge Frau neben mir stand, fragte ich sie leise, ob sie wusste, dass es einen Mord in Finch gegeben hatte.
»Aber natürlich«, antwortete sie. »Mum hat es mir gleich am Tag danach erzählt.«
Annelise hatte uns nach Boston begleitet, hatte aber regelmäßig mit ihrer Familie telefoniert.
»Warum hast du Bill und mir nichts davon gesagt?«, wollte ich wissen.
»Mum hat gemeint, das würde euch nur den Urlaub verderben, und außerdem war es doch kein großer Verlust. Nicht schade um die alte Schreckschraube, sagt Mum.«
Ich starrte sie mit offenem Mund an. Eine warmherzigere junge Frau als Annelise konnte ich mir kaum vorstellen, und ihre Mutter war die Güte in Person. Gerade von diesen beiden hätte ich am allerwenigsten erwartet, dass sie so schlecht von einer Toten sprechen würden.
»Bist du da nicht etwas zu hart?«, fragte ich.
»Nicht annähernd so hart, wie sie es verdient hat. Niemand war über ihren Tod traurig, außer vielleicht die Buntings und Mrs Taxman, und die hatten ja keinen Schimmer!«
»Keine Schimmer wovon?«
»Von dem Unfrieden, den sie gestiftet hat.«
Annelise verschränkte die Arme vor der Brust.
»Es tut mir leid, aber mehr kann ich nicht sagen.
Mum hat mir verboten, die üblen Gerüchte, die diese Frau in die Welt gesetzt hat, zu wiederholen und dadurch auch noch im Umlauf zu halten.«
Es war vergebliche Liebesmüh, ein Verbot unterlaufen zu wollen, das die Matriarchin des Sciaparelli-Clans verhängt hatte. So wandte ich mich einem weniger hoffnungslosen Unterfangen zu und begann, das Mittagessen zu kochen.
Zwei Stunden später stand ich auf der Kuppe des Pouter’s Hill und starrte durch den grauen Regenvorhang auf das Land hinaus, ohne wirklich etwas Bestimmtes erkennen zu können.
Der Pouter’s Hill ragte gleich hinter meinem Garten steil in die Höhe. Ihn zu erklimmen war für mich bei jeder Heimkehr zu einem Ritual geworden. Es war meine Art, diese Landschaft nach einer längeren Trennung wieder zu begrü ßen. Meistens empfand ich den Ausblick als beruhigend – den Flickenteppich aus Feldern, den Himmel, der nie derselbe war, die mit Schafen übersäten Hügel –, doch diesmal brachte er mir keinen Seelenfrieden.
Ich schaffte es einfach nicht, die Erinnerung an meine erste Begegnung mit Prunella Hooper beiseitezudrängen, nicht an den Tag zu denken, an dem Mr Barlow sie mir auf dem Dorfplatz gezeigt hatte. Seine Kommentare hatten sich mir derart eingeprägt, dass ich sie Wort für Wort im Gedächtnis behalten hatte.
»Diese Sorte kenne ich schon«, hatte er geknurrt. »Vorne rum tun sie dir mordsmäßig schön, und ehe du weißt, was los ist, rammen sie dir ein Messer in den Rücken. Hinterhältig und fies hat mein Dad solche Leute genannt, und er hatte eine Ahnung von der Welt. Ich kann Ihnen nur raten: Halten Sie sich von ihr fern. Frauen wie die säen Zwietracht, wo immer sie sind.«
Unwillkürlich grübelte ich darüber nach, ob Mr Barlows Worte prophetisch gewesen sein könnten. Hatte Mrs Hooper wirklich Zwietracht in Finch gesät? War es das, was Annelise mit
»üble Gerüchte« gemeint hatte? War eines dieser Gerüchte so niederträchtig gewesen, dass es am Ende eine derartig grausame Vergeltung ausgelöst hatte?
Hatte ein Dorfbewohner Pruneface Hooper ermordet?
Das schien höchst unwahrscheinlich. Es wäre doch reiner Wahnsinn, als Mitglied einer Gemeinschaft einen Mord zu begehen, hier, wo jeder jeden kannte und genau wusste, wer wen umbringen würde und wie er das anstellen würde
– wenn er denn eine Gelegenheit dazu hätte.
Und doch hatte irgendjemand Prunella Hooper getötet. Jemand hatte ihr den Kopf eingeschlagen und sie sterben lassen, mitten unter den
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