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Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Titel: Tante Dimity und der unerhoerte Skandal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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Wochenende mitnimmt, also ahnte sie vielleicht, was auch ich ahnte. Eine innere Stimme sagte mir, dass unsere Suche nach Willis senior nicht mit einem kurzen Besuch bei Vetter Gerald beendet sein würde. Wenn Tante Dimity sich in eine Sache einschaltete, wurde es meist komplizierter, als man vermutete.

6
    NELL ERWIES SICH als ideale Reisegefährtin. Sie dirigierte mich ohne Zwischenfall von Finch nach Oxford, und ich fand auch an der Route, die sie im Anschluss daran gewählt hatte, nichts auszusetzen.
    Die Autobahn M40 war nicht gerade der kürzeste Weg nach Haslemere, aber sie war breit, überwiegend gerade und so langweilig wie ein Teller Haferschleim.
    Nell war auch eine gute Beifahrerin. Sie klammerte sich nicht an die Armlehnen und hielt nicht dauernd vor Schreck die Luft an, wie Bill es tat, wenn ich in England fuhr, und ihre gelegentlichen Ermahnungen, dass ich mich mehr in der Mitte der Fahrspur halten sollte, wurden nicht jedes Mal von einem hysterischen »Um Gottes willen, Lori …«  eingeleitet.
    Sie machte sich auch nicht über mein Auto lustig. Zugegeben, der Mini war nicht viel größer als ein Skateboard, aber mir genügte er. Der einzige Nachteil war der winzige Kofferraum, aber das schien Nell nichts auszumachen. Sie hatte Bertie auf dem Schoß, und falls es ihr nicht passte, dass sie ihren großen Koffer auf dem Rücksitz auf den noch größeren legen musste, den sie für mich gepackt hatte, so behielt sie das für sich.
    Ich war angenehm überrascht. Ich war noch nie lange mit Nell allein gewesen, teils weil es sich nicht ergeben hatte und teils weil ich vor Nell immer eine gewisse Scheu empfunden hatte. Sie schien so kühl und distanziert, so unabhängig und mit ihren zwölf Jahren weitaus reifer, als ich es mit zwanzig gewesen war. Sie zog sich gut an, sprach fließend französisch und wusste sich stets korrekt zu benehmen: Sie hätte in guter Gesellschaft bestimmt nie einen Kuhstall erwähnt. Eigentlich sprach sie insgesamt nicht viel, und ich fragte mich manchmal, was in diesem blonden Lockenkopf vor sich ging. Schließlich würde ich, so Gott wollte, selbst einmal ein zwölfjähriges Kind haben.
    Nell sah etwas nachdenklich aus, als wir auf die M40 kamen. Sie sah auf Bertie hinunter und nagte an der Unterlippe.
    »Machst du dir Sorgen wegen William?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte sie geistesabwesend. »Ich mache mir Sorgen, dass Bertie schlecht werden könnte. Er sieht nicht gut aus, findest du nicht?«
    Damit wäre also die Sache mit Nells Reife geplatzt wie eine Seifenblase, dachte ich und lachte in mich hinein. »Halt ihn höher, so dass er aus dem Fenster sehen kann. Vielleicht lenkt ihn das von seinem Bauch ab.«
    Nell hob den schokoladenbraunen Teddybär hö her und drehte ihn so, dass er hinaussehen konnte.
    Einen halben Kilometer weiter nickte sie. »Jetzt ist es besser. Vielen Dank, Lori. Wahrscheinlich hast du mit Reginald dieselben Schwierigkeiten gehabt.«
    »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Reg verträgt Autofahren gut, aber ich glaube, das Herumreisen in Williams Aktenkoffer wird ihm weniger gefallen.«
    »Ihm wird’s schon gut gehen«, sagte Nell beruhigend. »Und William auch, solange Tante Dimity sich um die beiden kümmert.«
    »Ein körperloser Leibwächter?« Wieder musste ich lachen, und diesmal konnte ich es zeigen, nicht weil Nells Worte mich erheitert hatten, sondern weil die Vorstellung nicht abwegig war. In der Vergangenheit hatte Dimity sich gegenüber Menschen, die sie ablehnte, nicht gerade wie ein guter Geist benommen. Sie würde bei Vetter Gerald spuken, dass ihm Hören und Sehen verging, wenn er auf den Gedanken kommen sollte, Willis senior etwas anzutun. »Vermutlich hast du Recht«, gab ich zu, »aber trotzdem bin ich nicht sehr glücklich über die Art und Weise, wie William abgereist ist.
    Es ist einfach nicht seine Art, zu verschwinden, ohne jemandem etwas zu sagen.«

    »O doch, Lori, es ist seine Art«, sagte Nell ernst. »Es sieht ihm sehr ähnlich. Denn wenn er es uns erzählt hätte, dann hätten wir ihn begleiten wollen, und das konnte er nicht zulassen.«
    »Warum nicht?«, fragte ich verwundert.
    »Weil es gefährlich sein könnte«, erwiderte Nell mit einem leisen, entzückten Seufzer. »Es macht ihm nichts aus, es allein in die Hand zu nehmen, aber es würde ihm sehr viel ausmachen, wenn du oder ich hineingezogen würden.«
    »Dann denkst du also, er handelt aus Rücksicht so?«, sagte ich nachdenklich. In einer dunklen Ecke meiner Fantasie

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