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Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Titel: Tante Dimity und der unerhoerte Skandal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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hatten sich schon Überlegungen über senile Demenz eingeschlichen, aber Nells nüchterne Einschätzung warf ein neues Licht auf die Sache. Mein Schwiegervater war ein vollkommener Gentleman – für ihn kam die Rücksichtnahme auf Frauen und Kinder immer zuerst. Wenn er das Haus in einer gefährlichen Mission verlassen wollte, dann war es die einzige Möglichkeit, zu warten, bis er allein war, und sich dann eilig und am besten spurlos davonzumachen. »Das muss ich dir zugestehen, Nell. Ich glaube, du hast wieder mal den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich vermute allerdings, du hast dir noch keine Gedanken darüber gemacht, warum er Vetter Gerald besuchen will?«
    »Das habe ich schon, aber …« Nell sah mich zögernd von der Seite an. »Ich glaube nicht, dass es dir gefallen würde.«
    »Dann bringe es mir schonend bei«, bat ich.
    »William hat ein paarmal erwähnt, dass er in Boston nicht genug zu tun hat.« Nell schwieg und sah mich wieder an.
    »Hat er das?«, sagte ich beklommen.
    »Ja. Er sagte, dass Bill alles allein macht und dass er sich … sozusagen … überflüssig fühlt«, erklärte Nell. »Ich glaube, er könnte Vetter Gerald besuchen, um mit ihm …«
    »Eine neue Partnerschaft zu gründen? Meine Güte, Nell, das wäre ja …« Durchaus möglich, beendete ich den Satz für mich. Bill hatte seinen Vater nun seit Monaten in die Kulissen gedrängt.
    Was, wenn es ihm gelungen wäre, ihn völlig aus Boston zu verdrängen? Willis senior hatte kein Geheimnis aus seinem Wunsch gemacht, eine Zweigstelle von Willis & Willis in Europa zu gründen, aber Bill hatte das nicht ernst genommen.
    Vielleicht nahm Vetter Gerald es jedoch ernst.
    Gerald war im Moment arbeitslos, und jeder vernünftige Rechtsanwalt – noch dazu einer, der gerade keinen Job hatte – würde zugreifen, wenn er die Chance bekäme, mit meinem erfahrenen Schwiegervater, der über erstklassige Verbindungen verfügte, zusammenzuarbeiten.

    »Aber warum Gerald?«, fragte ich laut. »Warum nicht seine respektablen Vettern? Kannst du dir vorstellen, dass William sich mit einem Schürzenjäger und Betrüger einlässt?«
    »Nein«, sagte Nell, »aber William weiß vielleicht nichts von Geralds schlechtem Ruf. Er hat Miss Kingsley nicht gefragt.«
    »Also, dann ist es jedenfalls das Erste, was er von mir hören wird«, sagte ich und trat aufs Gaspedal.
    Kein Wunder, dass Tante Dimity Alarm geschlagen hatte. Die Möglichkeit, dass Willis senior sich mit einem schwarzen Schaf wie Gerald in Geschäftsbeziehungen einlassen könnte, war schlimm genug, aber der Gedanke, dass wir dann durch den ganzen großen Atlantik getrennt wären, war noch weitaus schlimmer. Mein Vater war gestorben, ehe ich laufen konnte, und Willis senior war die einzige Vaterfigur, die ich je gehabt hatte. Ich würde alles tun, was in meiner Macht stand, um ihn nicht zu verlieren.
    Ohne ihn wäre es im Haus der Familie Willis in Boston noch kälter und einsamer.

    Das Einzige, was Finch an Übernachtungsmöglichkeiten zu bieten hatte, war das Hinterzimmer im oberen Stockwerk von Mr und Mrs Peacocks Pub.
    Im Laufe der Jahre hatte dort immer wieder einmal ein Tourist übernachtet, ohne jedoch wiederzukommen. Vielleicht waren die Gäste durch die Tatsache vertrieben worden, dass die Peacocks nichts mehr in dem Zimmer erneuert hatten – nicht einmal die Bettwäsche, wie böse Zungen behaupteten
    –, seit ihr Sohn Martin vor zwanzig Jahren zum Militär gegangen war. Haslemere hingegen, so hatte Derek mir versichert, verfügte über ein weit grö ßeres Angebot an Unterkünften. Es war kein typisches Touristenziel – weit und breit war kein Name der üblichen Hotelketten zu sehen –, aber die bewaldeten Hügel und die offene Heide hatten seit 1859, als die Anbindung an das Eisenbahnnetz erfolgte, einen steten Strom von stadtmüden Londonern angezogen, für die mehrere kleine Hotels und Privatpensionen bereitstanden.
    Meine Wahl wurde schließlich von reiner Panik diktiert. Nach vier Stunden auf der Autobahn waren wir endlich in Haslemere angekommen und fuhren die Hauptstraße entlang, an deren Ende fünf Straßen in einem, wie mir schien, lebensbedrohlichen Verkehrschaos aufeinander trafen.
    Darum war ich blitzschnell entschlossen, als auf meiner rechten Seite das Georgian Hotel auftauchte, dessen Name in eleganten Goldbuchstaben auf einer cremefarbenen QueenAnneFassade stand.
    Diese fixe Reaktion indes hatte sich gelohnt.

    Das Georgian war ein gepflegtes Hotel nur einen Steinwurf

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