Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
vom Stadtzentrum entfernt. Vom Salon mit der Bar führte eine Tür in den malerischen Garten hinaus, der von einer Mauer umgeben war.
Und die Angestellten waren sehr freundlich. Miss Coombs, die rothaarige, sommersprossige junge Dame an der Rezeption, hieß uns an der Eingangstür willkommen und geleitete uns in ihr sonnendurchflutetes Büro, wo wir uns für eine Übernachtung eintrugen.
Statt den Namen meines Mannes zu gebrauchen, trug ich mich mit meinem Mädchennamen ein – Lori Shepherd –, weil ich nicht wollte, dass man zwischen mir und Gerald Willis eine Verbindung herstellen könnte, und außerdem war es immer noch mein offizieller Name.
Nell trug sich als Nicolette Gascon ein. Ich hatte keine Ahnung, warum, oder was es damit auf sich hatte, jedoch trug sie ihre neue Identität mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es sich von selbst verbot, im Beisein der netten, aber zweifellos aufmerksamen Miss Coombs zu fragen. Nachdem wir den Papierkram erledigt hatten, ging Nell mit dem schwer beladenen Gepäckträger nach oben in unser Zimmer, um ihre Eltern anzurufen und ihnen die beruhigende Mitteilung zu machen, dass wir es ohne Zwischenfälle hierher geschafft hatten.
Ich blieb zurück, um Miss Coombs nach dem Weg zu Gerald Willis’ Haus zu fragen. Wie so oft in England, war die Adresse, die Miss Kingsley mir gegeben hatte, nur für jemanden verständlich, der die Gegend kannte. »Die Lärchen, Midhurst Road« hatten wir in Nells Straßenatlas nicht gefunden, aber ich hoffte, dass es der Empfangsdame eines Hotels am Ort etwas sagen würde.
Und so war es.
7
»DIE – DIE LÄRCHEN?« Das sommersprossige Gesicht von Miss Coombs wurde so rot wie Emmas preisgekrönte Pfingstrosen. »Sie wollen zu Ger … Mr Willis?«
»So ist es«, erwiderte ich. »Kennen Sie ihn?«
Miss Coombs nickte und ihre Wangen röteten sich noch mehr. »Er kommt ein bis zwei Mal die Woche auf einen Drink vorbei. Er war gerade gestern wieder da, um unser Telefon zu benutzen« – sie nahm die Hand von unseren Anmeldeformularen und legte sie auf das Telefon auf ihrem Schreibtisch –, »denn das seine funktionierte nicht.«
»Das habe ich bemerkt.« Ich lächelte sie an, konnte es mir aber nicht verkneifen, auf ihre Finger zu sehen, die auf dem Hörer lagen.
Miss Coombs hatte meinen Blick bemerkt und zog die Hand schnell zurück. »Mr Willis hat oft die eine oder andere kleine Schwierigkeit«, fuhr sie in gewandtem Plauderton fort. »Letzten Monat war es ein undichtes Dach und davor musste er das WC völlig erneuern lassen. Ich fürchte, sein Haus ist in keinem guten Zustand. Jedenfalls habe ich das gehört.« Ihr Blick wanderte zurück zum Telefon, und sie tat einen Seufzer, den man nicht anders als sehnsüchtig bezeichnen konnte. »Ich selbst bin noch nie dort gewesen.«
Aha, dachte ich. Was haben wir denn hier?
Könnte es sein, dass Gerald Willis sich nicht scheute, in Haslemere Herzen zu brechen, während er sich gleichzeitig den Luxus einer Freundin in London leistete? Aus Miss Coombs’ Bemerkungen gewann ich den Eindruck, dass er im Georgian nicht nur des Biers wegen vorbeischaute. Die unbestimmte Verachtung, die ich Vetter Gerald gegen über empfunden hatte, nahm weiter Gestalt an. Es war eine Sache, eine »gewisse Dame« in London auszuführen, aber es war etwas ganz anderes, einer Unschuld vom Lande, wie Miss Coombs es war, nachzustellen. Alles in mir sträubte sich bei dem Gedanken, dass mein ritterlicher Schwiegervater mit einem solchen Schwerenöter etwas zu tun haben könnte.
»Können Sie mir sagen, wie ich zum Haus von Mr Willis komme?«, fragte ich wieder, obwohl ich inzwischen überzeugt war, dass sie mir sogar die Farbe seiner Fensterläden beschreiben könnte. »Ich muss ihn dringend sprechen.«
Die junge Frau zögerte. Vielleicht beunruhigte sie der Gedanke, dass ein amerikanischer Eindringling hier Rechte anmelden könne, die ihr bisher verwehrt geblieben waren. Vermutlich war sie nicht geistesgegenwärtig genug gewesen, um auf meinen Ringfinger zu achten, und, einem plötzlichen Impuls folgend, streifte ich meinen Ring ab.
Wenn Vetter Gerald mich für ledig hielt, würde er vielleicht eher einen Annäherungsversuch machen, und ich freute mich schon darauf, ihn abblitzen zu lassen.
Miss Coombs besann sich schließlich auf ihre Pflichten und nahm eine fotokopierte Straßenkarte aus dem Hängeschrank hinter dem Schreibtisch.
Nachdem sie die Route markiert hatte, hielt sie mir die Karte hin,
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