Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
war, schwieg Bill lange. Dann nahm er die Brille ab und rieb sich die Augen. »Ich bin heute Abend zu müde, um das alles aufzunehmen«, sagte er. »Gehen wir erst mal schlafen, und morgen sehen wir weiter.« Er schob seinen Stuhl zurück und trug die Teller zur Spüle. Er ließ Wasser darüber laufen, drehte den Hahn zu und blieb stehen, den Rücken zu mir. Sein heller Pullover hob sich gegen das dunkle Fenster ab, sein linker Arm hing schlaff herunter und mit der rechten Hand hielt er den Rand des Beckens umklammert, als sei es das Einzige, was ihn aufrecht hielt.
»Lori«, sagte er, »ich weiß, dass ich nicht nur Vater rücksichtslos behandelt habe. Vielleicht habe ich die Explosion gebraucht, damit Ordnung in meinen Kopf kommt, aber während ich auf dem Holzhaufen lag, sind mir ein paar Dinge klar geworden.«
Ich trat hinter ihn, umarmte ihn und drückte meinen Kopf an seinen Rücken. »Jetzt nicht«, sagte ich.
»Doch, jetzt.« Bill drehte sich um. »Ich wollte dich nicht im Stich lassen, Lori, aber als du anfingst, von Kindern zu sprechen, hatte ich plötzlich das Gefühl …« Er zuckte hilflos die Schultern und suchte nach den richtigen Worten. »Als ob ich jeden Tag etwas Bedeutendes vollbringen müsse, um sie zu verdienen. Kannst du das verstehen?«
Ich holte tief Luft. »Bill«, sagte ich, »ich habe mich nicht in einen unbedeutenden Mann verliebt, noch habe ich einen solchen geheiratet.«
»Bist du dir ganz sicher? Ich sehe nämlich …«
Er nahm meine rechte Hand, an dem der Trauring fehlte. Ich sah meinen Mann an, in seinem Gesicht standen Erschöpfung, Schmerz und die Angst, dass er vielleicht zu lange gebraucht hatte, um zu merken, wie es um uns stand.
»Ich bin mir nie im Leben sicherer gewesen«, sagte ich mit Nachdruck.
Bill nahm mich in die Arme. Ich spürte seinen Gipsverband im Rücken, aber auch seine starke, weiche Schulter. Ich schmiegte das Gesicht in seine Halsgrube, schloss die Augen und atmete den Geruch der geölten Wolle seines neuen Pullovers ein, den Duft seines Shampoos, die appetitlichen Gerü
che der Küche und, über allem, seinen eigenen Geruch, unbeschreiblich, unverwechselbar, und ich merkte, wie sehr mir dieser Geruch gefehlt hatte.
»Ach, Lori«, murmelte er, »ich habe dich so vermisst.« Er küsste mich auf die Stirn und auf die Augen, dann nahm er mich bei der Hand. »Jetzt komm, Schatz. Lass uns zu Bett gehen.«
Oben lagen wir noch lange unter der Patchworkdecke wach, hielten uns fest und redeten stundenlang. Aber irgendwann in der Stille des Morgengrauens, als der Wind nachgelassen hatte und die Vögel noch nicht erwacht waren, hörten wir auf zu reden. Mein Ring war wieder am Finger und unsere zweiten Flitterwochen konnten endlich anfangen.
25
ALS ICH AM nächsten Morgen Lucys entsetzten Blick sah, wie sie in mein Zimmer trat, hätte ich mit meinem Lachen beinahe Bill geweckt.
»Ich … ich bitte vielmals um Entschuldigung«, flüsterte sie, indem sie den Blick abwandte. »Ich … ich werde …«
»Psst«, sagte ich. Ich stand vorsichtig auf, zog mein Nachthemd, meinen Morgenmantel und die Pantoffeln an, dann zog ich Lucy in den Flur hinaus und schloss die Tür.
»Lori, ich wollte nicht …«, fing sie an, aber ich unterbrach sie.
»Keine Sorge, Lucy. Das ist mein Mann, Bill. Er kam gestern Abend ganz spät und unerwartet hier an. Er ist ziemlich kaputt, deshalb wollte ich ihn schlafen lassen.«
Lucy sah sehr erleichtert aus, obwohl sie müde schien, so als ob sie keine gute Nacht gehabt hätte. »Niemand wird ihn stören«, versicherte sie.
»Mutter und Swann sind mit Nell ausgeritten, und Paul sitzt im Wohnzimmer und liest Zeitung.«
Ich hakte mich bei Lucy unter. »Dann haben wir ja die Küche für uns. Lass uns runtergehen und Tee machen.«
»Das Wasser kocht schon«, sagte sie.
Auf dem Weg zur Küche schilderte ich ihr kurz Bills Abenteuer, dann toastete Lucy Muffins und stellte verschiedene Gläser mit Konfitüre bereit, während der Tee zog. Als wir uns an den Tisch setzten, war ich gerade bei dem Punkt angelangt, an dem sie in unser Zimmer geplatzt war.
»Ich hätte nicht reinkommen dürfen, ohne anzuklopfen«, gab sie zu. »Aber mir war es so wichtig, mich nach der Szene von gestern Abend zu entschuldigen. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Ich bin doch sonst so …«
»Es ist schon gut, Lucy«, sagte ich. »Ich weiß, wie es um dich und Gerald steht.«
»Das sagen alle.« In ihrer Stimme lag wieder der bittere Ton, den
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