Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
ich schon in London bemerkt hatte, und ihre Lippen waren schmal und angespannt, als sie auf die dampfende Teetasse sah, die vor ihr stand. »Kannst du ehrlich sagen, du weißt, wie es sich anfühlt, wenn dir jemand, den du liebst, einfach entgleitet, ohne dass du etwas dagegen tun kannst?«
»Ja«, erwiderte ich, und als Lucy erschrocken aufsah, hielt ich ihren Blick aus. »Ich weiß , wie es ist.«
Lucy strich Marmelade auf eine Scheibe Toast und sah mich eindringlich an. »Und was hast du dagegen getan?«
Ich lächelte. »Ich hatte Glück. Bill merkte es von selbst – mit Hilfe dieses explodierenden Kochers, von dem ich dir erzählte.« Ich senkte meine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Weißt du, Lucy, Geralds Haus ist in ziemlich schlechtem Zustand. Vielleicht könnten wir dort auch einen kleinen …«, ich suchte nach dem geeigneten Wort,
»Unfall inszenieren?«
Lucy schüttelte mutlos den Kopf. »Nicht, solange Mrs Burweed in der Küche ist.«
»In dem Fall müssen wir Gerald das Denken einfach abnehmen.« Ich tat Zucker in meinen Tee und nahm einen Schluck. »Darf ich dir ein paar Fragen über ihn stellen?«
»Schieß los. Ich habe nichts dagegen, von jemand ausgefragt zu werden, der Erfahrung hat.«
»Es geht um diese Frau, mit der er sich im Flamborough trifft. Arthur hat mir von ihr erzählt.
Hast du sie jemals selbst gesehen?«
»Nicht aus der Nähe«, sagte Lucy zurückhaltend. »Warum?«
Ich sah über ihre Schulter hinweg zum Fenster über der Spüle und spielte mit dem Stück Toast auf meinem Teller. »Ich weiß nicht genau, wie ich es ausdrücken soll, aber … deine Mutter erzählte uns gestern Abend von Douglas und von dieser Ärztin, mit der er sich eingelassen hat.«
»Sally die Schlampe«, sagte Lucy sofort. »Die Tomate auf Zahnstochern, wie Mutter sie nennt.
Weißt du, dass sie mal versucht hat, Mutter zu erpressen?«
»Ja. Anthea erwähnte es, wegen irgendwelcher kompromittierenden Fotos. Genau darum geht es.
Als Arthur mir von der Frau erzählte, mit der Gerald sich im Flamborough trifft, beschrieb er sie auf ganz ähnliche Weise. Er nannte sie einen Kloß auf dürren Beinen, ein hartgesottenes Weib mit bösen Augen. Er erwähnte sogar, dass sie ihre Haare färbt.«
Lucy setzte sich langsam kerzengerade hin, in ihrem Gesicht lag äußerste Konzentration. Dann riss sie plötzlich die Augen auf. »O mein Gott«, sagte sie, als sei eine Erleuchtung über sie gekommen.
»Sally die Schlampe und Gerald.« Sie starrte entgeistert vor sich hin, dann sah sie mich an. » Warum? «
»Einmal Erpresser, immer Erpresser.« Ich rührte in meiner Tasse. »Ich weiß zufällig, dass Gerald Geld abhebt, ehe er sich in London mit Sally trifft.
Deshalb dachte ich …«
»Und wie kommst du so ›zufällig‹ an diese Information?«, unterbrach Lucy.
»Durch Nell«, sagte ich und wiederholte Pauls unsterbliche Worte, »sie hat so eine eigene Art, mit Menschen umzugehen.«
Lucy schien immer noch verblüfft, also holte ich weiter aus.
»Ich machte mir Gedanken«, erklärte ich. »Ich hatte unerfreuliche Gerüchte über Gerald gehört und dachte, mein Schwiegervater wolle mit ihm ins Geschäft kommen, also fuhr ich nach Haslemere, um … um mir Gerald mal anzusehen.«
»Das hätte ich auch getan«, sagte Lucy ohne Zögern.
»Als wir in Haslemere ankamen«, fuhr ich fort,
»unterhielt sich Nell mit dem Portier unseres Hotels, dessen Schwiegersohn oder Neffe oder Cousin dritten Grades Geschäftsführer der Bank ist, bei der Gerald sein Konto hat, und …«
»… und Nell hat so eine eigene Art, mit Menschen umzugehen.« Lucy nickte. »Ich verstehe.«
Plötzlich fing sie an zu lachen, und genauso schnell verwandelte sich das Gelächter in Weinen, in eine atemlose, wortreiche Tränenflut, in der lang unterdrückte Gefühle sich endlich Luft machten. »GeGerald, du Dummkopf«, schluchzte sie und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Du lieber, geliebter Dummkopf. Warum hast du mir bloß nichts davon gesagt …?«
»Was soll er dir gesagt haben?«, fragte ich und reichte ihr ein Küchenhandtuch.
Lucy rieb sich das Gesicht damit ab. »Dass er erpresst wird natürlich. Darum ist er auch aus der Firma ausgeschieden und hat sich in Haslemere verkrochen. Und ich wette, es hat etwas mit Douglas zu tun. Die Schlampe hat ihm vielleicht diese unanständigen Fotos gezeigt und gedroht, sie der Regenbogenpresse zuzuspielen.«
»Aber das wäre doch inzwischen ein ziemlich alter Hut,
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