Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
erhellte die Dunkelheit. »Es ist wirklich nicht nötig, einen solchen Lärm zu machen, junger Mann«, sagte sie streng. »Besonders nicht um diese Tageszeit. Also, womit kann ich …« Sie verstummte, als sie Nell und mich sah, die jetzt neben Bill an der Tür auftauchten. »Miss – Miss Shepherd, nicht wahr? Wie schön. Mr Gerald wird sich freuen, Sie wiederzusehen.«
»Ach tatsächlich, wird er das?«, murmelte Bill.
Mrs Burweed ignorierte ihn und wandte sich weiter an mich. »Ich fürchte nur, er hat gerade Besuch. Würde es Ihnen etwas ausmachen, zu warten
…«
»Ja, das würde es«, unterbrach Bill sie. »Wo sind sie?«
»Im hinteren Wohnzimmer«, erwiderte Mrs Burweed, eingeschüchtert von Bills herrischem Benehmen. »Aber Mr Gerald hat strenge Anweisungen gegeben …«
»Danke«, sagte Bill und ging an ihr vorbei ins Haus. »Ich finde den Weg.«
Ich bedachte Mrs Burweed mit einem kurzen, entschuldigenden Schulterzucken und eilte hinter Bill her, gefolgt von Nell. Bill wollte gerade die Tür zum Wohnzimmer öffnen, aber Gerald musste den Lärm gehört haben, denn er kam ihm zuvor. Verwirrt sah er Bill an, dann sah er mich und lächelte so herzlich, dass mir die Knie weich wurden.
»Miss Shepherd«, rief er aus. »Was für eine wunderbare Überraschung.«
Bill brummte etwas Unverständliches, holte aus und bedachte Gerald mit einem Faustschlag, der ihn rückwärts ins Zimmer katapultierte. Mit immer noch geballter Faust stürzte Bill hinterher, stand über ihm und brüllte ihn an: »Das ist dafür, dass du meine Frau geküsst hast!«
Nell drehte sich um und sah mich mit großen Augen an. »Also das war’s, was in St. Bartholomäus passiert ist!«
»Es ist gar nichts in St. Bartholomäus passiert«, gab ich ärgerlich zurück. »Bill! Hör auf! Lass ihn in Ruhe.« Ich zog an seinem Arm und wollte ihn in den Flur hinaus ziehen, aber es war, als wollte ich eine Eiche entwurzeln.
Eine ruhige, vertraute Stimme kam aus der Zimmerecke. »Mein lieber Junge, wenn das, was du vermutest, wahr ist, dann hast du mein Mitgefühl, aber glaubst du tatsächlich, dass das der richtige Moment ist, Lori so aufzuregen?«
Ich erstarrte, Bill blieb der Mund offen stehen, und Nell hielt den Atem an.
Gerald stöhnte.
»Bill, hilf deinem Vetter auf«, gebot Willis senior vom entfernten Ende der Couch. »Und du, Nell, sag bitte Mrs Burweed, dass ein Anruf bei der Polizei nicht notwendig ist. Lori, ich weiß, dass du keine große Familie hattest, aber inzwischen müsstest du eigentlich wissen, dass man den Ausdruck ›kussfreudige Verwandtschaft‹ nicht ganz so wörtlich nehmen sollte.«
Willis senior musste Mrs Burweed sein großes Ehrenwort geben, dass Bill kein gefährlicher Irrer sei, ehe sie sich bereit erklärte, den Telefonhörer hinzulegen und zwei Eisbeutel aus der Küche zu holen, einen für Geralds Veilchenauge, den anderen für die schmerzenden Knöchel an Bills rechter Hand.
»Du Dummkopf«, sagte ich, während ich vor Bills Stuhl hockte und jeden seiner Finger genau untersuchte. »Dies war die einzige gesunde Hand, die du noch hattest. Vermutlich erwartest du jetzt, dass ich dich füttere.«
»Hm«, erwiderte Bill und sah noch immer mit finsterem Gesicht zu Gerald hinüber, der ausgestreckt auf dem schäbigen Sofa lag.
»Hör auf jetzt«, schimpfte ich. »Ich hatte dir doch gesagt, dass es nicht Geralds Schuld war. Er wusste nicht, dass ich deine Frau bin. Er wusste nicht mal, dass ich überhaupt verheiratet bin. Au ßerdem hatte es nichts zu bedeuten. Er wollte doch nur nett sein.«
Geralds Stimme kam unter dem Eisbeutel hervor. »Darum geht es nicht«, nuschelte er undeutlich. »Gibt Dinge, die muss ein Mann klarstellen.
Unantastbarkeit der Ehe gehört dazu. Da gibt’s keine Grauzonen.«
»Ganz richtig.« Bill nickte beifällig, hörte jedoch, als er sich dabei ertappte, sofort wieder auf und sah Gerald mit gerunzelter Stirn an, als ob es ihn beunruhigte, dass ausgerechnet der Mann ihn verteidigte, den er gerade k. o. geschlagen hatte.
Ich gab Bill seinen Eisbeutel zurück und setzte mich auf die Lehne seines Sessels, wo ich ihn im Auge behalten konnte. Das hintere Wohnzimmer sah genauso trist und langweilig aus wie das letzte Mal, als wir hier gewesen waren. Die Dunkelheit hatte die Bäume hinter dem großen Panoramafenster verschluckt, und an beiden Enden der Couch brannten Stehlampen. Ihr sanftes Licht dämpfte die Schäbigkeit des Raumes etwas und ließ die rotgoldenen Lichter in Geralds
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