Tante Dimity und der unheimliche Sturm
ablegen.« Catchpole legte seine faltigen Hände flach auf den Tisch. »Aber jetzt ist Miss Gibbs meine Arbeitgeberin, und ich nehme an, ich muss lernen, mit den Zeiten zu gehen.« Mühsam stand er auf. »Ich gehe jetzt hinauf und mache in Ihren Zimmern ein Feuer, um die Kälte zu vertreiben. Sie werden an so einem ungemütlichen Tag früh zu Bett gehen wollen, nehme ich an.«
»Warten Sie!«, sagte Jamie, »ich komme mit Ihnen.«
»Ich auch«, sagte Wendy, die zur Anrichte ging und ihren mächtigen Rucksack auf den Rü cken hievte.
Als ich aufstand, um ihnen zu folgen, bemerkte ich, dass ich als Einzige die Dessertschale leer gegessen hatte. Weder Wendy noch Jamie hatten mehr als einen Löffel von Catchpoles wunderbarer Nachspeise gekostet. Hatte die tragische Geschichte von Miss DeClerkes Niedergang sie um den Appetit gebracht, oder setzte die Spukgeschichte ihnen noch immer zu?
Ich zögerte, ehe ich meinen kleinen Rucksack heranzog und mich wieder auf den Stuhl setzte.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Catchpole, mir später das Zimmer zu zeigen, dann würde ich jetzt gern hier bleiben, um meinen Mann anzurufen. Ich habe ihm versprochen, mich um fünf nochmals zu melden.«
»Wie Sie wünschen, Madam.« Catchpole wedelte mit seinem gekrümmten Zeigefinger. »Aber nicht, dass Sie auf eigene Faust losgehen. Ich möchte nicht, dass Sie … sich verirren .«
Er legte so viel unheilvolle Betonung auf das letzte Wort, dass ich fast schon erwartete, dass Jamie seinen Rucksack wieder abnahm, um sich schützend hinter mich zu stellen. Doch Jamie hatte anscheinend genügend Vertrauen in die Tapferkeit, deren ich mich so gerühmt hatte, denn er erwiderte mein Lächeln mit einem aufmunternden Nicken, ehe er mit den beiden anderen verschwand.
Ich gebe freimütig zu, dass ich einen flüchtigen Moment eine nervöse Unruhe verspürte, als sie die Tür hinter sich schlossen und mich allein in der geräumigen Küche zurückließen, mit nur einer flackernden Petroleumlampe und ohne Streichhölzer, doch dieser Moment ging vorbei, und dann hörte ich auch schon Bills Stimme.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte er heiter.
»Es ist nun amtlich: Wir erleben gerade den schlimmsten Schneesturm in den letzten hundert Jahren.«
»Ach ja?«, sagte ich mit einem unverhohlenen Mangel an Begeisterung.
»Ach komm, Lori«, sagte er mit schmeichelnder Stimme, »du musst zugeben, dass es ganz schön aufregend ist. Das ganze Land ist lahmgelegt, von den OrkneyInseln bis zu den Scillies.
Heathrow hat sämtlichen Flugbetrieb eingestellt.
Nichts bewegt sich mehr, nicht einmal die Königliche Post.«
Ich seufzte. »Vermutlich rangiert unser Cottage ziemlich weit hinten auf der Dringlichkeitsliste, was das Schneeräumen anbelangt?«
»Wir warten gerade auf Schneepflüge, die stecken gebliebene Schneepflüge befreien«, sagte Bill. »Habt ihr noch genug zu essen? Ich nehme an, du und Wendy habt eure Vorräte zusammengetan?«
»Das mussten wir gar nicht. Es gibt jede Menge Vorräte hier. Deine Mandantin hält eine gut gefüllte Vorratskammer für Gäste parat. Warum hast du mir nicht gesagt, dass Tessa Gibbs Ladythorne Abbey gekauft hat?«
»Es schien mir damals nicht wichtig zu sein«, sagte Bill. »Aber was die Vorräte anbelangt, so erstaunt mich das keineswegs. Tessa hat gern Gäste.«
»Wir werden also nicht verhungern«, stimmte ich zu. »Im Gegenteil, wahrscheinlich eher ein paar Pfunde zunehmen. Wie kommst du mit den Jungen zurecht?«
»Heute Morgen ist uns die Milch ausgegangen«, sagte Bill, »aber Emma und Derek sind mit den Skiern herübergekommen und haben uns mit frischer Milch versorgt.«
»Warum haben sie nicht den Pferdeschlitten benutzt?«, fragte ich.
»Sie haben die Pferde nicht aus dem Stall herausgebracht. Will und Rob haben sich so um die Pferde gesorgt, dass Emma versprochen hat, ihnen Fotos von ihnen zu mailen, sobald sie und Derek zu Hause sein würden.«
Ich lachte aus vollem Herzen. »Wenn Emma gewusst hätte, was sie sich damit antut, als sie beschlossen hat, den Jungen das Reiten beizubringen …«
»Übrigens«, sagte Bill, »meint Emma, dass du recht hast, was die Fernwanderwege betrifft. Es gibt keinen in der Nähe von Ladythorne Abbey, aber …« – er wiederholte das Wort nochmals –,
» aber das Tal ist durchzogen von einem Netz aus Wanderwegen. Emma meint, dass Wendy vom Monarch Way gekommen und dann in den
Cotswolds Way eingebogen sein muss, oder auch umgekehrt, als der Sturm sie überraschte.
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