Tante Dimity und der unheimliche Sturm
erleichtert über seine Reaktion. Zweifellos gehörte er zu der Sorte Männer, die aus verletztem Stolz sehr nachtragend sein konnten. Aber noch weniger als seine Würde wollte er anscheinend seinen Job verlieren.
»Tessa wird Sie bestimmt nicht entlassen«, sagte ich aufmunternd. »Wenn sie erst einmal Ihr Risotto gekostet hat, wird womöglich Rhadu diejenige sein, die sich nach einem neuen Job umsehen muss.«
»Das ist nett von Ihnen, Madam«, erwiderte Catchpole. »Meine Mutter hat mir das Kochen beigebracht. Zu Miss DeClerkes Zeiten musste ich alle möglichen Aufgaben übernehmen, es war ja kaum mehr Personal da.«
Das Geräusch der Stiefelabsätze des alten Mannes auf den Holzdielen hallte dumpf wider.
Der düstere Flur mit der niedrigen Decke war gesäumt von Türen, die zu einer Reihe von Arbeitsräumen gehörten. Catchpole zählte einige von ihnen auf, während wir vorübergingen: Spülküche, Stiefelkammer, Lampenkammer, Haushaltsraum, Gesindesaal – die leeren Hüllen dessen, was früher einmal ein lebendiges Versorgungssystem eines Herrenhauses gewesen war.
Alle Türen waren verschlossen, jedes Zimmer dahinter in Stille getaucht. Der Korridor, der früher als Hauptstraße für eine geschäftige Armee an Hauspersonal gedient hatte, war nunmehr eine selten benutzte Nebenstraße. Es hätte mich nicht überrascht, wenn Unkraut in den Ritzen zwischen den Dielenbrettern wuchern würde.
Am Ende des Gangs öffnete Catchpole eine Tür, und wir traten in eine hohe, quadratische Eingangshalle, die so imposant war, dass ich unwillkürlich stehen blieb. Das Ausmaß der Pracht, die ich erblickte, traf mich vollkommen unvorbereitet. Die eichengetäfelten Wände reichten hinauf zu einer Decke mit in hellen Farben bemalten Wappenmedaillons, und das anmutig geschwungene Geländer der Eichentreppe mündete oben in zwei auserlesene Engel, die aus Rosenholz geschnitzt waren und die oberen Treppenpfosten darstellten. Die eine himmlische Figur zupfte eine Harfe, die andere blies in eine Fanfare, wie zur Begrüßung der verehrten Gäste, die auf Ladythorne eintrafen.
»Ach du heiliger Strohsack«, murmelte ich.
Mein ehrfurchtsvolles Staunen schien Catchpole zu gefallen. Er hielt seine Lampe hoch und führte mich in die Mitte der Halle. Auf den im Enkaustik-Stil bemalten Fliesen hinterließen seine schweren Stiefel kein Geräusch, so als würden seine Schritte in dem Herrenhaus jenseits des Bedienstetenflurs vor lauter Ehrfurcht verstummen.
Mit großen Augen bestaunte ich die Einrichtung, wie eine Touristin bei einer Führung. Im Schatten unter der Treppe thronte ein Paar hoher chinesischer Vasen mit Pfauenfedern auf Pflanzentischchen aus blutrotem Marmor, und ein verschnörkelter Leuchter hing an einer massiven Kette von der gewölbten Decke herab. Zu meiner Linken befand sich ein Wandtisch, der wie ein Altar anmutete; darauf stand eine große Schüssel aus gehämmertem Kupfer, umrahmt von zwei dazu passenden Kerzenleuchtern, darüber hing ein golddurchwirkter Wandteppich. Direkt vor mir befand sich eine reich geschnitzte Tür, die Wendys Stemmeisen nie und nimmer nachgegeben hätte, und die Wand darüber war durchbrochen von einem dreiteiligen Bleiglasfenster. Jedes einzelne Stück schien nicht den geringsten Makel zu haben, die Oberflächen glänzten um die Wette
– und keine Spinnwebe war weit und breit zu sehen.
»Die anderen habe ich die Hintertreppe hinaufgeführt«, sagte Catchpole, »aber ich dachte, dass Sie vielleicht gern gesehen hätten, was Miss Gibbs aus der Abtei gemacht hat. Die Holzverkleidung an den Wänden faulte von einem Ende des Hauses zum anderen vor sich hin. Auch die meisten Böden mussten herausgerissen und erneuert werden.«
»Verblüffend, wirklich!« Ich warf dem alten Mann einen besorgten Blick zu. »Sie müssen doch nicht alles abstauben, oder?«
Meine halbherzige Anteilnahme zauberte ein leises Funkeln in Catchpoles Augen.
»Einmal in der Woche kommen einige Putzfrauen«, sagte er. »Gestern waren sie hier – haben abgestaubt, gestaubsaugt und die Zimmer gelüftet. Das ist gut, denn sie werden erst wiederkommen, wenn die Schneepflüge sich schließ lich auch bis hierher durchgekämpft haben.«
Ich war auf merkwürdige Weise beruhigt, als ich von dem Trupp Putzfrauen hörte, der wö chentlich durchs Haus zog und die Einsamkeit des alten Mannes durchbrach.
»Es muss schön für Sie sein, ab und an ein wenig Gesellschaft zu haben«, bemerkte ich.
»Ich passe auf sie auf«, knurrte
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