Tante Dimity und der unheimliche Sturm
Amerika?«, sagte ich erstaunt. »Wohin nach Amerika? Schrieb sie an die Militärbehörden?«
»Keine Ahnung.« Catchpole hob hilflos die Hände. »Die Post kam und verließ das Haus in einem versiegelten Sack, also hat niemand je die Adresse gelesen.«
Ich verzog das Gesicht. »Sie haben niemals die Adresse gelesen, und doch wissen Sie, dass die Briefe nach Amerika adressiert waren?«
»Eines Tages habe ich sie gefragt, und sie sagte …« – Catchpoles Stimme wurde düster, – »…
ich schicke einen Fluch über den Ozean, mein Junge, um jene zu verdammen, die mich betrogen haben.«
Im Schein der Lampen glühten die Augen des alten Mannes bedrohlich, und ich ertappte mich dabei, wie ich ein wenig von ihm abrückte. Er hatte uns gesagt, dass er an die Macht des Hasses glaube, und in diesem Moment nahm ich ihm das ohne weiteres ab.
Neben mir regte sich Jamie, der schon lange nichts mehr gesagt hatte. »Warum sind Ihre Eltern hiergeblieben, Catchpole? Es konnte nicht gerade angenehm für sie gewesen sein, dem Verfall von Miss DeClerke zuzusehen.«
Catchpole lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Mein Vater liebte die Amerikaner nicht besonders. Während England die Drecksarbeit machen musste, haben sie Däumchen gedreht, so sagte er.
Die schweren Kämpfe überließen sie uns, um sich hinterher als Sieger zu brüsten.«
»Unzählige amerikanische Soldaten, die im Krieg gefallen sind, wären da anderer Meinung«, warf Wendy in bitterem Ton ein.
»Ich behaupte ja nicht, dass Dad recht hatte«, sagte Catchpole, »aber so hat er eben empfunden. Was Mutter betraf, so hat sie sich um derlei Dinge nicht gekümmert, aber sie hatte eine Schwäche für Miss DeClerke. Sie kannte sie schon, als sie noch ein kleines Mädchen war, und hat sie quasi aufgezogen. Also brachte sie es nicht fertig, sie zu verlassen, auch dann nicht, als die Zeiten hart wurden.«
»Ich verstehe.« Meinen Löffel legte ich in die leere Dessertschale und starrte Catchpole verblüfft an. »Miss DeClerke war wohlhabend, nicht wahr? Sie war ein Einzelkind, der letzte Spross der Familie, also musste sie alles geerbt haben. Nicht, dass Geld glücklich machen würde, aber …«
Wendy, die verstand, was ich sagen wollte, sagte unverblümt: »Können die Zeiten für jemand, der so reich ist, wie sie es war, tatsächlich so hart werden?«
»Sie hat Tausende von Pfund für ihre verwundeten Offiziere ausgegeben«, erklärte Catchpole.
»Dann musste sie Erbschafts-und Einkommens-steuer zahlen, die Abtei musste unterhalten werden, und so schmolz ihr Erbe allmählich dahin.
Sie verkaufte das Grundstück in London und ein paar Parzellen weiter unten im Tal, wobei sie stets darauf achtete, dass die Käufer Engländer waren, doch eines Tages musste sie auch auf das Telefon verzichten und die Elektrizität. Vor zwanzig Jahren hat sie den größten Teil der Abtei stillgelegt, um nur noch in wenigen Zimmern zu leben.«
»Und trotzdem sind Sie geblieben«, sagte ich.
»Es blieb mir nichts anderes übrig«, sagte Catchpole mürrisch. »Nachdem Vater und Mutter gestorben waren, gab es niemanden außer mir, der sich um Miss DeClerke kümmerte. Ich hatte mein Cottage, und ich nahm alle möglichen Jobs in der Stadt an, um was zu beißen zu haben.
Miss DeClerke hat schließlich nur noch ein Zimmer benutzt und von Tee und Toast gelebt.«
»Hatte sie denn niemand, der sie beraten hat?«, fragte Wendy. »Einen Freund der Familie oder einen Anwalt?«
»Sie hörte auf niemanden.« Catchpole schüttelte traurig den Kopf. »Leute vom National Trust kamen, um sich mit ihr über die Öffnung der Abtei für den Tourismus zu unterhalten, aber sie lehnte ab, weil sie nicht wollten, dass amerikanische Touristen von den Besichtigungen ausgeschlossen wurden. Eines Tages tauchte dann Miss Gibbs auf.«
»Eine englische Schauspielerin«, murmelte ich.
Catchpole nickte. »Es hat sie drei Jahre gekostet, bis der Kaufvertrag unter Dach und Fach war. Miss DeClerke wusste damals, dass sie bald sterben würde, und dennoch musste Miss Gibbs ihr versprechen, die Yanks von der Abtei fernzuhalten, sonst hätte sie niemals verkauft. Ich weiß nicht, ob Miss Gibbs ihren Teil der Abmachung einhalten wird, wie auch immer, Miss DeClerke ist seit zwei Jahren tot, und vielleicht spielt es auch keine Rolle mehr.«
»Für Sie scheint es noch immer eine Rolle zu spielen«, sagte ich sanft.
»Ich war mehr als fünfzig Jahre in Miss DeClerkes Diensten, Madam. Alte Gewohnheiten lassen sich schwer
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