Tante Dimity und die unheilvolle Insel
weniger als zweihundert Einwohner, die sich großzügig auf etwas mehr als zwanzig Quadratmeilen bedingt landwirtschaftlich nutzbarem Land verteilen. Die Fähre besucht unsere freundlichen Gestade einmal pro Woche; Touristen lassen sich hier dank unserer doch etwas primitiven Anlegemöglichkeiten selten blicken. Ein ideales Rückzugsgebiet für all diejenigen, die Frieden und Abgeschiedenheit suchen, findest du nicht auch?«
»Allerdings!« Ich stimmte ihm aus ganzem Herzen zu. Percys Lösung für unser Sicherheitsproblem war für meine Begriffe nichts weniger als ein Meisterstück. Solange Abaddon auf freiem Fuß war, würde ich hier viel besser schlafen, wusste ich doch die Zwillinge und mich von einem wahrhaft furchterregenden Burggraben geschützt.
»Wollt ihr einen Rundflug?«, fragte Percy.
»O ja, bitte!«, rief ich aufgeregt. Ich hatte schon einige schöne und aufregende Teile von Großbritannien gesehen, und das nicht erst seit meiner Übersiedelung. So war ich von Land’s End bis nach John o’ Groats gereist und in die Tiefen der Tropfsteinhöhlen von Wookey Hole hinabsowie zum Gipfel des Mount Snowdon hinaufgestiegen, doch zu den sagenhaften Inseln im Westen von Schottland war ich noch nie gesegelt. Auch wenn ich es vorgezogen hätte, sie unter weniger belastenden Umständen zu besuchen, überlief mich dennoch ein aufgeregtes Kribbeln, hatte ich doch die Chance, persönlich zu erfahren, wie es sich auf so einer Insel lebte.
»Schau mal, Mummy!«, piepste Rob in meinen Kopfhörer, »Windmühlen!«
Erinskil war länger als breit und wirkte wie ein ovaler Teller mit an der Nordseite schwer angeschlagenem Rand, was sich von der Südwestspitze aus, die wir soeben überflogen, gut erkennen ließ. Unter uns entdeckte ich nun auf einem hoch über das Meer ragenden Landvorsprung einen ganzen Wald von Windrädern, durchaus moderne Windmühlen mit langen, anmutigen Propellern, die natürlich der Stromerzeugung dienten. Im Vergleich zu diesem eleganten Oberbau wirkte der Sockel freilich überraschend gedrungen.
»Warum sind die Dinger so gedrungen?«, fragte ich Percy.
»Weil sie auf hundert Meter hohen Felsen stehen«, antwortete er. »An einer Stelle, wo der Wind seit der Sache mit Adam und Eva nicht mehr aufgehört hat zu wehen. Wenn sie höher wären, würden die Stürme sie im Winter umrei ßen. Und es wäre verdammt ungemütlich, von September bis März ohne Strom zu sein, findest du nicht auch?«
»Der Winter dauert hier von September bis März?«, fragte ich ungläubig.
»Wir sind hier nicht auf den Bahamas, Lori«, erinnerte mich Percy. »Selbst jetzt, Ende April, ist Erinskil nichts für zimperliche Gemüter.«
»Wahrscheinlich nicht.« Ich spähte weiter hinunter, während Percy die Insel in Schlangenlinien überflog, was uns einen Überblick von Küste zu Küste ermöglichte.
Das lange Tal in der Mitte von Erinskil war umgeben von einem kolossalen Kranz aus steilen Bergen. An den Küsten brachen sich schäumende Wellen auf weißen Sandstränden oder donnerten mit voller Wucht gegen hohe, schroffe Klippen.
Als wir uns näherten, flatterten Hunderttausende von Meeresvögeln in wirbelnden Wolken von den Klippen auf, die Schnäbel weit zu wütendem Protestgeschrei über die Störung aufgerissen.
»Das hier sind die ›Devil’s Teeth‹«, informierte mich Percy beim Überflug einer Formation spitzer Felssäulen, die abweisend aus dem Meer emporragten. »Und das dort ist unter dem Namen ›Sleeping Dragon‹ bekannt«, erläuterte er und wechselte die Richtung, um einem langen, gezackten Grat zu folgen, der sich ins grüne Innere der Insel wand und tatsächlich an den Rü cken eines Drachen erinnerte.
Am Fuß des Sleeping Dragon lag ein kleiner See mit spiegelklarer Oberfläche, und dahinter erstreckten sich leuchtend grüne Felder. Wir glitten über malerisch von Mauern aus Natursteinen eingegrenzte Weiden, allesamt von Felsbrocken übersät – zumindest hielt ich die hellen Flecken für große Steine, bis ich die meisten davon bei näherem Hinsehen als Schafe identifizierte.
Durch die Mitte der Insel verlief von Norden nach Süden eine zweispurige gepflasterte Straße, von der immer wieder Feldwege abzweigten, die zu Bauernhöfen führten. Wir flogen jetzt so tief, dass ich eine Frau vor einem weiß getünchten Haus Wäsche aufhängen sehen konnte. So heftig, wie die Hemden im Wind flatterten, würden sie nicht lange zum Trocknen brauchen.
In der nordöstlichen Ecke der Insel fiel das
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