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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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der Krankenschwestern aus Huânuco einzudringen, die zwanzigjährig und wahrscheinlich von festem, appetitlichem Fleisch waren? Es waren diese beschämenden Überlegungen, die das hohe Gericht dazu brachten, die These der Verteidigung zu akzeptieren, nach der Ezequiel Delfin verrückt sei und ins Larco Herrera statt ins Gefängnis gebracht werden müsse.
    Als sie den unerwarteten galanten Besuch des jungen Mannes bekam, begriff Frau Margarita Bergua sofort, daß etwas Schreckliches passiert sein mußte. Sie war eine realistische Frau und machte sich keinerlei Illusionen, was ihre Reize betraf: »Mich kommt keiner vergewaltigen, nicht einmal im Traum. Ich wußte sofort, der nackte Kerl war verrückt geworden oder kriminell«, erklärte sie. Also wehrte sie sich wie eine wildgewordene Löwin – in ihrer Zeugenaussage schwor sie bei der Jungfrau Maria, daß der feurige Kerl nicht einen Kuß habe ergattern können –, und so verhinderte sie nicht nur die Schändung ihrer Ehre, sondern rettete ihrem Mann das Leben. Während sie den Entarteten kratzend, beißend, stoßend und tretend von sich hielt, schrie sie (sie schrie tatsächlich) so laut, daß ihre Tochter und die anderen Hausbewohner erwachten. Rosa, der Richter aus Ancash, der Pfarrer aus Cajatambo und die Krankenschwestern aus Huânuco überwältigten den Exhibitionisten, fesselten ihn und liefen dann alle zusammen, Don Sebastian zu suchen: lebte er noch?
    Es dauerte beinahe eine Stunde, bis eine Ambulanz kam, die ihn ins Krankenhaus Arzobispo Loayza brachte, und ungefähr drei Stunden, bis die Polizei kam, um Lucho Abril Marroquin aus den Klauen der jungen Pianistin zu befreien, die, außer sich (wegen der Verletzungen, die er ihrem Vater zugefügt hatte? wegen der Beleidigung ihrer Mutter? vielleicht – menschliche Seele mit trübem Mark und giftigen Winkeln – wegen der ihr zugefügten Enttäuschung?) versuchte, ihm die Augen auszukratzen und sein Blut auszusaugen. Der junge Arzneimittelvertreter bestritt entschieden das Geschehene, als er auf der Polizeiwache seine gewohnte Sanftheit in Gesten und Redeweise wiedergewonnen hatte und aus purer Schüchternheit beim Sprechen errötete. Die Familie Bergua und die Pensionsgäste verleumdeten ihn, niemals habe er irgendwen angegriffen, niemals habe er versucht, einer Frau Gewalt anzutun und noch viel weniger einer Invalidin wie Margarita Bergua, einer Dame, die er wegen ihrer Güte und ihres Verständnisses am meisten auf dieser Welt schätze und liebe – nach seiner Frau, versteht sich, jener jungen Dame mit den italienischen Augen und den musikalischen Ellenbogen und Knien, die aus dem Land des Gesangs und der Liebe kam. Seine Ruhe, sein sicheres Auftreten, seine Sanftmut, die hervorragenden Referenzen, die seine Vorgesetzten und Kollegen der Bayer-Werke abgaben, sein makelloses polizeiliches Führungszeugnis ließen die Hüter der Ordnung zögern. War es möglich, daß – unergründlich trügerischer Augenschein – alles eine Verschwörung der Frau und der Tochter des Opfers und der Pensionsgäste gegen den zarten jungen Mann war? Die vierte Macht im Staat betrachtete diese Hypothese mit Wohlwollen und unterstützte sie.
    Um die Dinge noch zu erschweren und die Spannung in der Stadt zu erhalten, konnte das Opfer des Verbrechens, Don Sebastian Bergua, die Zweifel nicht erhellen, da er im öffentlichen Krankenhaus in der Avenida Alfonso Ugarte zwischen Leben und Tod schwebte. Er bekam gewaltige Bluttransfusionen, die manchen seiner Landsleute aus dem Club Tambo-Ayacucho, die herbeigeeilt kamen, kaum daß sie von der Tragödie erfuhren, um sich als Spender anzubieten, an den Rand der Tuberkulose brachten. Diese Transfusionen und die Injektionen, Nähte, Desinfektionen, Verbände, Krankenschwestern, die sich an seinem Bett ablösten, Ärzte, die seine Knochen wieder zusammenfügten, seine Organe wiederherstellten und seine Nerven beruhigten, fraßen in wenigen Wochen die bereits (von der Inflation und den galoppierend ansteigenden Lebenshaltungskosten) stark schrumpfenden Einkünfte der Familie. Sie war gezwungen, ihren Besitz unter Preis zu veräußern, das Haus stückweise zu unterteilen und zu vermieten und sich in die zweite Etage zu verkriechen, wo sie jetzt dahinvegetierte. Don Sebastian war gerettet, ja, aber seine Genesung schien zu Beginn nicht ausreichend, um die Zweifel der Polizei zu zerstreuen. Als Folge der Messerstiche, des erlittenen Schocks oder der moralischen Entehrung seiner Frau war er

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