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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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zu Adam zurückverfolgten, empfing der Herr von Ayacucho (das war er) reichen Tribut und inbrünstige Huldigungen einer Menge verlauster Indianer, die sowohl seine Truhen wie seine Eitelkeit mästeten.
    Plötzlich (waren fünfzehn Minuten oder drei Stunden vergangen?) weckte ihn etwas wie ein Geräusch, ein Vorgefühl, das Stolpern eines Geistes. Er konnte in der von einem Lichtstrahl, der von der Straße durch die Gardine fiel, kaum erhellten Dunkelheit einen Umriß erkennen, der sich aus dem Nebenbett erhob und leise zur Tür schwebte. Noch halb im Schlaf, glaubte er, der hartleibige Jüngling gehe zum Drücken auf die Toilette oder fühle sich wieder unwohl, und er fragte halblaut: »Ezequiel, geht es Ihnen gut?« Statt einer Antwort hörte er ganz deutlich den Riegel der Tür (der verrostet war und darum knirschte). Er begriff nichts, richtete sich ein wenig im Bett auf, und leicht beunruhigt fragte er wieder: »Ist etwas, Ezequiel? Kann ich Ihnen helfen?« Da spürte er, daß der junge Mann zurückgekommen war – Katzenmenschen, die so elastisch sind, daß sie allgegenwärtig erscheinen – und jetzt dort vor seinem Bett stand und den winzigen Lichtstrahl, der vom Fenster kam, unterbrach. »So antworten Sie doch, Ezequiel, was ist mit Ihnen?« murmelte er und suchte tastend den Lichtschalter. In diesem Augenblick traf ihn der erste Messerstich, der tiefste und bohrendste, der ihm ins Brustfell drang, als wäre es Butter, und ihm das Schlüsselbein durchstieß. Er war ganz sicher, aufgeschrien, laut um Hilfe gerufen zu haben, und während er sich zu verteidigen, sich aus den Laken zu befreien suchte, die sich um seine Füße schlangen, war er gleichzeitig verwundert darüber, daß weder seine Frau noch seine Tochter noch irgendein anderer der Pensionsgäste zu Hilfe kamen. Aber tatsächlich hörte niemand etwas. Später, als die Polizei und der Richter das Gemetzel rekonstruierten, wunderten sich alle darüber, daß er den Verbrecher nicht entwaffnen konnte, obwohl er ein robuster, Ezequiel dagegen ein schwächlicher Mann war. Sie konnten nicht wissen, daß der Arzneimittelvertreter in der blutigen Dunkelheit von einer übernatürlichen Kraft besessen zu sein schien. Don Sebastian gelang es lediglich, eingebildete Schreie auszustoßen und zu versuchen, die Richtung des nächsten Messerstiches zu erraten, um ihn mit den Händen aufzuhalten. Er erhielt etwa vierzehn oder fünfzehn (die Ärzte meinten, die klaffende Wunde in der linken Hinterbacke stamme – wunderbare Zufälle, die einen Mann über Nacht weißhaarig machen und an Gott glauben lassen – von zwei Stichen in dieselbe Stelle) gleichmäßig kreuz und quer über seinen Körper verteilte, während sein Gesicht – ein Wunder des Herrn von Lirnpias, wie Dona Margarita glaubte, oder der Santa Rosa, wie ihre Namensträgerin meinte – nicht einen Kratzer abbekommen hatte. Das Messer, stellte man später fest, gehörte den Bergua. Es hatte eine spitze, fünfzehn Zentimeter lange Klinge und war seltsamerweise seit einer Woche aus der Küche verschwunden. Der Mann aus Ayacucho war damit so verletzt worden, daß sein Körper mehr Narben aufwies als der eines Haudegens. Wie kam es, daß er nicht daran starb? Zufall, Gnade Gottes und (vor allem) wegen einer Fast-Tragödie beinahe größeren Ausmaßes. Niemand hatte etwas gehört. Don Sebastian hatte, von vierzehn (fünfzehn?) Messerstichen verletzt, das Bewußtsein verloren und verblutete in der Dunkelheit. Der Angreifer hätte auf die Straße laufen und für immer verschwinden können. Aber wie so manche berühmte Figur aus der Geschichte stürzte ihn eine extravagante Laune ins Verderben. Nachdem der Widerstand seines Opfers gebrochen war, ließ Ezequiel Delffn das Messer fallen, und statt sich anzuziehen, zog er sich aus. Nackt, wie er auf die Welt gekommen war, öffnete er die Tür, ging über den Gang in das Zimmer von Dona Margarita Bergua und warf sich ohne weitere Erklärungen auf das Bett, in der eindeutigen Absicht, mit ihr zu schlafen. Warum mit ihr? Warum wollte er eine Dame schänden, die zwar von guter Familie war, aber fünfzig Jahre alt, ein Humpelbein hatte, winzig, formlos und durch und durch in jedem ästhetischen Sinn häßlich war wie die Nacht? Warum hatte er nicht versucht, die verbotene Frucht der jungen Pianistin zu pflücken, die nicht nur jungfräulich war, sondern von kräftigem Atem, rabenschwarzem Haar und alabasterweißer Haut? Warum hatte er nicht versucht, in den geheimen Serail

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