Tante Julia und der Kunstschreiber
allein in seinem Zimmer, hörte irgendein Radioprogramm und schlief ein, in Frieden mit seinem Gewissen und mit Gott. Aber das war früher. Heute setzt Don Sebastian niemals mehr einen Fuß auf die Straße, wechselt niemals seine Kleidung – die Tag und Nacht aus einem ziegelfarbenen Pyjama, einem blauen Morgenrock, Wollstrümpfen und Alpaca-Latschen besteht –, und seit jener Tragödie hat er keinen Satz mehr gesprochen. Er geht nicht mehr zur Messe und liest auch keine Zeitung mehr. Wenn es ihm gut geht, sehen ihn die alten Pensionsgäste (seit sie entdecken mußten, daß alle Männer dieser Welt Satyrn sind, nehmen die Besitzer der Pension Colonial nur noch weibliche oder hinfällige Gäste auf, Männer, deren Geschlechtstrieb auf den ersten Blick erkennbar von Krank heit oder Alter geschwächt ist) wie ein Gespenst durch die dunklen und uralten Räume geistern, mit verlore nem Blick, unrasiert und mit ungekämmtem Haar voller Schuppen; oder sie sehen ihn Stunde um Stunde stumm und verstört in seinem Schaukelstuhl sitzen. Er frühstückt nicht mit den Gästen und ißt auch nicht mehr mit ihnen zu Mittag, denn – Gespür für die Lächerlichkeit, das die Aristokraten bis ins Armenhaus verfolgt – Don Sebastian kann den Löffel nicht an den Mund heben, und seine Frau und seine Tochter müssen ihn füttern. Wenn es ihm schlecht geht, sehen ihn die Pensionsgäste nicht. Der edle Greis bleibt in seinem Bett, sein Zimmer ist abgeschlossen. Aber sie hören ihn; sie hören sein Gebrüll, sein Wehge schrei, sein Stöhnen und Klagen, das die Scheiben erzittern läßt. Neuankömmlinge sind bei solchen Krisen verblüfft, denn während der Nachkomme der Eroberer heult, fegen Frau Margarita und Fräulein Rosa, machen die Betten, kochen, bedienen und schwatzen weiter, als geschähe nichts Ungewöhnliches. Sie halten sie für lieblos, kalt herzig, gleichgültig gegenüber den Leiden des Gatten und Vaters. Den Unverschämten, die sich erdreisten, auf die geschlossene Tür zu zeigen und zu fragen: »Fühlt Don Sebastian sich nicht wohl?«, antwortet Frau Margarita unwillig: »Das ist nichts, er erinnert sich nur an einen großen Schrecken, das geht wieder vorbei.« Und tatsäch lich, zwei, drei Tage später ist die Krise vorbei, und Don Sebastian taucht wieder auf den Fluren und in den Räumen der Pension Bayer auf, bleich und ausgemergelt zwischen den Spinnweben und mit dem Ausdruck des Grauens im Gesicht.
Was war das für eine Tragödie? Wo? Wann? Was war geschehen?
Alles begann vor zwanzig Jahren, als ein junger Mann mit traurigen Augen, der das Habit des Wundertätigen Herrn trug, in der Pension Colonial erschien. Er war Handels vertreter aus Arequipa, litt unter chronischer Verstopfung, trug den Namen eines Propheten und den Nachnahmen eines Fisches – Ezequiel Delfïn –, und trotz seiner Jugend wurde er als Pensionsgast aufgenommen, weil sein vergeistigtes Äußeres (außerordentliche Mager keit, tiefe Blässe, zarter Knochenbau) und seine offensicht liche Frömmigkeit – außer einer Krawatte, einem lila Taschen tuch und einer Armbinde versteckte er noch eine Bibel in seinem Gepäck, und ein Skapulier lugte aus den Falten seiner Kleidung – eine Garantie gegenüber jeder Art Versuchung, das junge Mädchen zu verführen, zu sein schienen. Tatsächlich brachte der junge Ezequiel Delffn zu Anfang nur Zufriedenheit in die Familie Bergua. Er hatte keinen Appetit und war wohlerzogen, bezahlte pünktlich seine Rechnungen und hatte sympathische Gewohnheiten wie die, hin und wieder mit einem Veilchenstrauß für Dona Margarita, mit einer Nelke für das Knopfloch von Don Sebastian zu erscheinen, und Rosa schenkte er einige Noten und ein Metronom zum Geburtstag. Seine Schüch tern heit, die ihm nicht gestattete, mit jemandem zu sprechen, wenn er nicht angesprochen wurde, und ihn – trat dieser Fall ein – mit leiser Stimme antworten ließ, wobei er stets auf den Boden, niemals der fragenden Person ins Gesicht sah, gefiel den Bergua ebenso wie seine tadellosen Manieren und sein Wortschatz. Sie gewannen den Gast rasch lieb, und vielleicht spielten sie im Grunde ihres Herzens – sie waren schließlich eine Familie, die vom Leben die Philosophie vom kleineren Übel gelernt hatte – mit dem Gedanken, ihn mit der Zeit zum Schwiegersohn zu machen.
Vor allem Don Sebastian mochte ihn sehr gern; verkörperte dieser zarte Reisende vielleicht jenen Sohn, den die emsige Hinkerin ihm nicht hatte geben können? An einem Nachmittag im
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