Tante Julia und der Kunstschreiber
fort. Mich erwartet ein Brand in einem alten Haus in Lima, wo eine Hinkende, die wie eine Fackel brennt, und ihre Familie Gott tödlich beleidigen. Ich habe den Befehl erhalten, den Brand zu löschen.« Würde er es tun? Würde er die Flammen löschen? Würde dieser aus den Tiefen der Jahre Wiederauferstandene dort erscheinen, um die Bergua zum zweiten Mal ins Grauen zu stürzen, so wie er sie jetzt in Furcht versetzte? Was würde mit dieser verängstigten Familie aus Ayacucho geschehen?
XIII
Die denkwürdige Woche begann mit einer pittoresken Episode (ohne die gewalttätigen Charakteristika der Begegnung mit den Fleischern), deren Zeuge und beinahe sogar Hauptdarsteller ich war. Genaro jun. vertrieb sich die Zeit damit, Neuerungen in den Programmen einzuführen, und beschloß eines Tages, wir sollten, um die Nachrichten ein bißchen aufzulockern, Interviews einfügen. Er setzte Pascual und mich darauf an, und nun sendeten wir täglich im Nachtprogramm El Panamericano ein Interview zu einem aktuellen Thema. Das bedeutete mehr Arbeit für den Informationsdienst (ohne Gehaltserhöhung), aber ich bedauerte es nicht, denn es war interessant. Während ich im Studio in der Galle Belén oder mit einem Tonbandgerät Kabarettisten und Parlamentarier, Fußballstars und Wunderkinder interviewte, erkannte ich, daß jeder, ohne Ausnahme, Thema einer Erzählung sein konnte.
Vor der pittoresken Episode war die merkwürdigste Figur, die ich befragte, ein venezolanischer Stierkämpfer. In dieser Saison hatte er in der Plaza de Acho, der Stierkampfarena, gewaltigen Erfolg gehabt. In seinem ersten Kampf ehrte man ihn mit mehreren abgeschnittenen Ohren, und in dem zweiten, nach einer wundervollen Leistung, bekam er einen Fuß, und die Menge trug ihn auf den Schultern vom Rfmac bis in sein Hotel an der Plaza San Martin. Aber in seinem dritten und letzten Kampf – die Eintrittskarten wurden seinetwegen zu astronomischen Preisen gehandelt – kam er nicht einmal dazu, sich den Stieren entgegenzustellen, weil er, von Panik besessen, den ganzen Nachmittag vor ihnen davonlief; er machte keinen einzigen würdigen pase und tötete sie so erbärmlich, daß er bei dem zweiten vier Verweise bekam. Die Entrüstung auf den Tribünen war unvorstellbar. Man versuchte die Plaza de Acho in Brand zu setzen und den Venezolaner zu lynchen, der unter bösen Pfiffen und einem Regen von Sitzkissen von der Guardia Civil in sein Hotel begleitet werden mußte. Am nächsten Morgen, ein paar Stunden bevor er abflog, interviewte ich ihn in einem kleinen Salon des Hotels Bolivar. Ich war überrascht, feststellen zu müssen, daß er weniger intelligent war als die Stiere, mit denen er kämpfte, und beinahe so unfähig wie sie, sich mit Worten auszudrücken. Er konnte keinen vernünftigen Satz formulieren, traf nie die richtigen Verbformen, seine Art, Gedanken zusammenzusetzen, ließ mich an Tumor, Sprachlosigkeit, an Menschenaffen denken. Die Form war nicht weniger originell als der Inhalt; er sprach mit einem unglücklichen Akzent voller Diminutive und verschluckter Endungen, die er wegen seiner häufigen Gehirnleere durch zoomorphes Grunzen abstufte. Der Mexikaner dagegen, den ich am Montag der denkwürdigen Woche interviewen mußte, war ein klar denkender Mann und hervorragender Redner. Er gab eine Zeitschrift heraus, hatte Bücher über die mexikanische Revolution geschrieben, leitete eine Delegation von Wirtschaftsexperten und wohnte im Bolivar. Er willigte ein, ins Studio zu kommen, und ich holte ihn selbst ab. Er war ein großer, gut gekleideter weißhaariger Herr von aufrechter Haltung, der um die 60 Jahre alt sein mußte. Seine Frau begleitete ihn, eine Dame mit lebhaften Augen, die einen Blumenhut trug. Auf dem Weg vom Hotel zum Sender besprachen wir das Interview, das wir in einer Viertelstunde aufnahmen, zum Schrecken von Genaro jun., denn der Wirtschaftswissenschaftler und Historiker griff als Antwort auf eine Frage die Militärdiktaturen an (in Peru litten wir unter einer, die von einem gewissen Odrîa geführt wurde). Es geschah, als ich das Paar ins Bolivar zurückbrachte. Es war Mittag, und in der Belén und auf der Plaza San Martin wimmelte es von Menschen. Die Frau ging auf der Innenseite, ihr Mann in der Mitte und ich am Straßenrand. Wir waren gerade an Radio Central vorbeigekommen, und um irgend etwas zu sagen, wiederholte ich, das Interview sei wirklich fabelhaft geworden, als ich sehr deutlich von dem Stimmchen der
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