Tante Julia und der Kunstschreiber
einen Tag verschiebst. Ich habe alles so gut wie fertig.«
»Mach dir keine Sorgen um den Bürgermeister«, sagte mir Tante Julia. »Ich bin jetzt so wütend, daß mir nichts mehr wichtig ist. Auch wenn du ihn nicht findest, laufen wir trotzdem fort.«
»Warum heiraten Sie nicht in Chincha, Don Mario?« hörte ich Pascual sagen, als ich den Hörer auflegte. Als er meine Verwunderung sah, war er verlegen: »Glauben Sie nicht, daß ich geschwätzig bin und mich einmischen will. Aber wenn man Sie so hört, kriegt man natürlich etwas mit, ich tue das nur, um Ihnen zu helfen. Der Bürgermeister von Chincha ist mein Vetter, und er traut Sie hopplahopp, mit oder ohne Papiere. Volljährig oder nicht.«
Noch am selben Tag war alles auf wunderbare Weise gelöst. Javier und Pascual fuhren mit den Papieren und der Anweisung, alles für Montag vorzubereiten, am Nachmittag im Colectivo nach Chincha. Inzwischen ging ich mit meiner Cousine Nancy, um das Zimmer in dem Haus in Miraflores zu mieten. Ich erbat drei Tage Urlaub im Sender (und erhielt ihn nach einer homerischen Diskussion mit Genaro sen., dem ich kühn drohte zu kündigen, wenn er ihn mir nicht bewilligte) und plante die Flucht aus Lima. Am Samstagabend kam Javier mit guten Nachrichten zurück. Der Bürgermeister sei ein junger und sympathischer Bursche, und als er und Pascual ihm die Geschichte erzählten, habe er gelacht und die Absicht von der Entführung beklatscht. »Wie romantisch«, habe er gesagt. Er behielt die Papiere und versicherte, daß man unter Freunden auch von der Sache mit dem Aufgebot absehen könne.
Am Sonntag erklärte ich Tante Julia am Telephon, daß ich den Bürgermeister gefunden hätte und daß wir am folgenden Tag um acht Uhr morgens fliehen und mittags Mann und Frau sein würden.
XVI
Joaquin Hinostroza Bellmont, der die Fußballstadien nicht durch Torschüsse oder das Halten von Elfmeterschüssen, sondern als Schiedsrichter zum Kochen bringen und dessen Alkoholkonsum Spuren und Schulden in allen Bars von Lima hinterlassen sollte, wurde in einer jener Villen geboren, die sich die Mandarine vor dreißig Jahren in La Perla bauten, als sie dieses Brachland in eine Copacabana von Lima verwandeln wollten (ein Vorhaben, das – Strafe für das Kamel, das unbedingt durchs Nadelöhr will – wegen der Feuchtigkeit, die Kehlen und Bronchien der peruanischen Aristokratie ruinerte, mißlang). Joaquin war der einzige Sohn einer Familie, die nicht nur reich war, sondern – üppiger Urwald aus Titeln und Wappen – von Fürstenhäusern in Spanien und Frankreich abstammte. Aber der Vater des künftigen Schiedsrichters und Saufboldes hatte die Pergamente beiseite gelegt und sein Leben dem modernen Ideal gewidmet, sein Vermögen durch Geschäfte zu multiplizieren, die von der Herstellung von Cashmere-Artikeln bis zur Einführung des fiebrigen Anbaus von scharfem Pfeffer in Amazonien reichten. Die Mutter, eine lymphatische Madonna und entsagungsvolle Gattin, hatte ihr Leben lang das Geld, das ihr Mann erwirtschaftete, für Ärzte und Kurpfuscher ausgegeben (sie litt an den verschiedensten Krankheiten der Oberschicht). Beide hatten Joaquin nach langen Gebeten zu Gott, er möge ihnen einen Erben vergönnen, in bereits fortge schrittenem Alter bekommen. Seine Ankunft brachte seinen Eltern eine unbeschreibliche Glückseligkeit; sie erträumten für ihn von der Wiege an eine Zukunft als Industriefürst, Landwirtschaftskönig, Zauberer der Diplomatie oder Luzifer der Politik. War es aus Wider spenstigkeit, aus Auflehnung gegen diese schicksalhafte Bestimmung zu nationalökonomischem Ruhm und gesellschaftlichem Glanz, daß das Kind Schiedsrichter beim Fußball wurde, oder eher aus psychologischem Ungenügen? Nein, aus echter Berufung. Selbstverständlich hatte er von der Flasche bis zum ersten Milchbart eine bunte Folge von Kindermädchen, die aus exotischen Ländern wie Frankreich und England importiert wurden. Und aus den besten Schulen Limas wurden Lehrer rekrutiert, die ihm das Rechnen und Schreiben beibringen sollten. Aber alle, einer nach dem anderen, verzichteten schließlich auf die stattliche Entlohnung, entmutigt und zur Verzweiflung getrieben von der ontologischen Gleich gültigkeit des Kindes gegenüber jeder Art von Wissen. Als der Knabe acht Jahre alt war, hatte er die Addition noch nicht begriffen, und vom Alphabet nannte er mit Mühe und Not die Vokale. Er sprach nur in Einsilbern, war ein stilles Kind und wanderte mit einem Ausdruck
Weitere Kostenlose Bücher