Tante Julia und der Kunstschreiber
tödlicher Langeweile durch die Zimmer in La Perla zwischen den gewaltigen Mengen von Spielzeug – deutschen Stahlbaukästen, japanischen Zügen, chinesischen Puzzles, österreichischen Zinnsoldaten, nordamerikani schen Dreirädern –, die an den verschiedensten Punkten des Erdballs für ihn erstanden worden waren, um ihn zu unterhalten. Das einzige, was ihn gelegentlich aus seiner brahmanischen Ruhe reißen konnte, waren die Fußballfigürchen von den Schokoladetäfelchen Mär del Sur, die er in Glanzpapier hefte klebte und stundenlang voller Neugier betrachtete.
Entsetzt bei dem Gedanken, einen hämophilen und schwachsinnigen Erben gezeugt zu haben, mit dem die Familie aussterben und der zum Gespött der Menschen werden würde, suchten die Eltern Hilfe bei der Wissenschaft. Berühmte Ärzte erschienen in La Perla. Der Star der Pädiatrie der Stadt, Dr. Alberto de Quinteros, wies die Gepeinigten in brillanter Weise zurecht: »Er hat das, was ich die Treibhauskrankheit nenne«, erklärte er ihnen. »Die Blumen, die nicht im Garten zwischen anderen Blumen und Insekten leben, wachsen kümmerlich, und ihr Duft ist unangenehm. Das goldene Gefängnis macht ihn dumm. Kindermädchen und Diener müssen entlassen und das Kind in einer Schule angemeldet werden, damit es mit Kindern seines Alters zusammenkommt. An dem Tag, an dem ein Schulkamerad ihm die Nase einschlägt, wird er normal sein.« Zu jedem Opfer bereit, damit er nur nicht weiter verblödete, willigte das stolze Ehepaar ein, daß Joaquin in die plebejische Außenwelt eintauche. Man suchte natürlich die teuerste Schule Limas für ihn aus, die der Patres von Santa Maria, und damit die Rangunter schiede nicht ganz und gar verschwänden, ließ man ihm eine Uniform in den vorgeschriebenen Farben schneidern, aber aus Samt.
Das Rezept des berühmten Arztes hatte beachtliche Folgen. Joaquin bekam zwar außerordentlich schlechte Noten, und seine Eltern mußten, damit er die Examina bestand – goldene Habgier, die zu Schismen führt –, Schenkungen machen (Scheiben für die Schulkapelle, Meßgewänder für die Ministranten, stabile Pulte für die Armenschule etc.), aber der Knabe wurde umgänglich, und man sah ihn seitdem gelegentlich sogar zufrieden. In jener Zeit bemerkte man die ersten Anzeichen seiner Genialität (sein unverständiger Vater nannte sie Schwachsinn): sein Interesse für den Fußball. Als die Eltern davon erfuhren, daß der Knabe Joaqufn dynamisch und gesprächig wurde, sobald er die Fußballschuhe angezogen hatte, statt apathisch und einsilbig, freuten sie sich sehr. Und sofort erwarben sie ein Gelände neben dem Haus in La Perla, um dort einen Fußballplatz von beachtlichen Ausmaßen zu bauen, wo Joaquincito sich nach Belieben vergnügen konnte.
Seitdem sah man nach der Schule in der nebligen Avenida de las Palmeras in La Perla aus dem Autobus von Santa Maria zwei-undzwanzig Schüler aussteigen – die Gesichter wechselten, aber die Zahl blieb immer gleich –, die auf dem Platz der Hinostroza Bellmont spielen sollten. Die Familie belohnte die Spieler nach dem Spiel mit Tee und Schokoladeplätzchen, Geleefrüchten, Meringel und Eis. Die reichen Herrschaften genossen es, ihren Sohn Joaquin jeden Abend vor Glück schnaufen zu sehen. Erst nach einigen Wochen nahm der Pionier des Pfefferanbaus in Peru wahr, daß etwas Seltsames geschah. Zwei-, drei-, zehnmal hatte er Joaquin als Schiedsrichter des Spiels gesehen. Mit einer Trillerpfeife im Mund und einer Kappe, die ihn gegen die Sonne schützte, rannte er hinter den Spielern her, pfiff Fouls und gab Verweise. Obwohl der Knabe sich nicht schämte, diese Aufgabe zu übernehmen, statt selbst zu spielen, erboste sich der Millionär. Er lud alle in sein Haus ein, mästete sie mit Süßigkeiten, erlaubte ihnen, mit seinem Sohn wie mit ihresgleichen umzugehen, und sie besaßen die Unverfrorenheit, ihn in die mediokre Funktion des Schiedsrichters zu drängen! Er war drauf und dran, die Zwinger der Dobermans zu öffnen, um diesen Unverschämten einen gewaltigen Schreck einzujagen. Aber er beschränkte sich darauf, sie zu tadeln. Zu seiner Überraschung erklärten die Knaben, sie könnten nichts dafür, und schworen, Joaqum sei Schiedsrichter, weil er es so wolle, und der Betroffene schwor bei Gott und seiner Mutter, daß dies seine Richtigkeit habe. Als der Vater nach einigen Monaten sein Notizbuch und die Berichte des Butlers durchsah, las er folgende Bilanz: bei 132. Spielen, die auf seinem Platz ausgetragen
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