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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Schiedsrichter in einem Zweitligaspiel abgelöst hatte.
    Nachdem Joaquin die Schule beendet hatte, stellte sich seinen verstörten Erzeugern das Problem seiner Zukunft. Der Gedanke, ihn auf die Universität zu schicken, wurde schmerzlich verworfen, um dem Jungen unnötige Erniedrigungen und Minderwertigkeitskomplexe und dem Familienvermögen neue Schröpfungen in Form von Schenkungen zu ersparen. Ein Versuch, ihn Sprachen lernen zu lassen, mündete in einem gewaltigen Fehlschlag. Nach einem Jahr in den Vereinigten Staaten und einem weiteren in Frankreich hatte er kein einziges Wort Englisch oder Französisch gelernt, dafür war aber sein an sich schon rachitisches Spanisch schwindsüchtig geworden. Als er nach Lima zurückkehrte, resignierte der Cashmere-Fabrikant und schickte sich darein, daß sein Sohn keinerlei Titel vorweisen würde, und zutiefst enttäuscht ließ er ihn im Dickicht der eigenen Firmen arbeiten. Die Ergebnisse waren, wie vorauszusehen, katastrophal. In zwei Jahren hatten seine Tätigkeiten oder Unterlassungen zwei Spinnereien bankrott gemacht, die blühendste Firma des Konglomerats – eine Straßenbaufirma – in die roten Zahlen gebracht, und die Pfefferplantagen im Urwald waren von Ungeziefer zerfressen, von Erdrutschen verschüttet und in Überschwemmungen versunken (was bestätigte, daß Joaquin auch ein Unglücksrabe war). Verstört von der unermeßlichen Unfähigkeit seines Sohnes und in seiner Eigenliebe getroffen, verlor der Vater seine Energie, wurde Nihilist und vernachlässigte seine Geschäfte, so daß sie in kurzer Zeit von gierigen Großgrundbesitzern aufgesaugt wurden. Er zog sich einen lächerlichen Tick zu, der darin bestand, daß er die Zunge herausstreckte, um sich (unsinnigerweise?) am Ohr zu lecken. Nervosität und Schlaflosigkeit trieben ihn, den Spuren seiner Gattin folgend, in die Hände von Psychiatern und Psychoanaly tikern (Alberto de Quinteros, Lucio Acémila?), die rasch mit den Resten seiner Vernunft und seines Vermögens aufräumten. Der wirtschaftliche Zusammenbruch und der geistige Verfall seiner Erzeuger brachten Joaqufn Hinostroza Bellmont nicht an den Rand des Selbstmords. Er lebte die ganze Zeit in La Perla in einer gespenstischen Villa, von der die Farbe abblätterte, die verrottete, sich nach und nach entvölkerte, der die Gärten und der Fußballplatz verlorengingen (um Schulden zu bezahlen) und in die Schmutz und Spinnen ihren Einzug gehalten hatten. Der junge Mann verbrachte den Tag damit, bei den Straßenspielen, die von den Stadtstreichern des Viertels auf den freien Feldern zwischen Bellavista und La Perla organisiert wurden, Schiedsrichter zu sein. Bei einem dieser Spiele, die von chaotischen Straßenjungen mitten auf der Straße ausgeführt wurden, bei denen ein paar Steine und ein Fenster und ein Laternenpfahl die Grenzen und das Tor markierten und bei denen Joaquin – Unbedingt heitsdenken des eleganten Herrn, der sich mitten im Urwald zum Abendessen umkleidet – als Schiedsrichter fungierte, als wären sie Endspiele, lernte der Aristokra tensohn die Person kennen, die aus ihm einen Leber kranken und einen Star machen sollte, Sarita Huanca Salaverria (?). Er hatte sie mehrere Male im Durcheinander dieser Spiele gesehen und ihr wegen der Aggressivität, mit der sie den Gegner anging, viele Verweise erteilt. Sie wurde Marimacho (Mannweib) genannt, trotzdem wäre Joaquin nie darauf gekommen, daß dieser traurige Junge mit den alten Latschen, den Bluejeans und dem schäbigen Pulli ein Mädchen war. Er entdeckte es auf erotischem Wege. Eines Tages überhäufte sie ihn mit wüsten Beschimpfungen (wie Hurensohn), weil er sie mit einem unvermeidlichen Strafstoß bedacht hatte (Marimacho hatte ein Tor aus dem Abseits geschossen).
    »Was hast du gesagt?« erboste sich der Aristokratensohn und stellte sich vielleicht vor, wie seine Mutter in diesem Augenblick eine Pille herunterschluckte, an einem Heiltrank nippte, eine Injektion bekam. »Sag das noch einmal, wenn du ein Mann bist!«
    »Bin ich nicht, aber ich sag es nochmal«, antwortete Marimacho. Und sie wiederholte – Ehre der Spartanerin, die eher in glühende Kohlen tritt, als sich zu ergeben – die Schimpfkanonade, angereichert mit Adjektiven aus der Gosse. Joaqum versuchte, ihr einen Faustschlag zu versetzen, der aber nur in die Luft ging, und im selben Augenblick wurde er durch einen Rammstoß von Marimacho zu Boden geworfen. Sie fiel über ihn her und schlug mit Händen und Füßen, Knien und

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