Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
worden waren, hatte Joaqum Hinostroza Bellmont in keinem einzigen mitgespielt; er war in 132 Spielen Schiedsrichter gewesen. Die Eltern wechselten einen Blick und dachten unterschwellig, irgend etwas laufe hier falsch. Wie konnte das normal sein? Wieder konsultierte man die Wissenschaft. Der bedeutendste Astrologe der Stadt, ein Mann, der die Seelen in den Sternen las und die Gemüter seiner Patienten (er hätte es vorgezogen, »seiner Freunde« zu sagen) mit Hilfe der Tierkreiszeichen wieder aufrichtete, Professor Lucio Acémila also, tat nach vielen Horoskopen, Befragungen der Himmelskörper und Mond-Meditationen folgenden Ausspruch, der, wenn er auch nicht ins Schwarze traf, doch den Eltern überaus schmeichelte:
    »Der Knabe fühlt sich durch und durch als Aristokrat, und, seiner Herkunft getreu, verträgt er den Gedanken nicht, genauso wie die anderen zu sein«, erklärte er und nahm seine Brille ab, vielleicht, damit das intelligente Lichtchen, das bei einer Prognose in seinen Pupillen aufleuchtete, besser zur Geltung käme? »Er zieht es vor, Schiedsrichter zu sein und nicht Spieler, denn als Schiedsrichter entscheidet er das Spiel. Haben Sie etwa geglaubt, daß Joaqum in diesem grünen Rechteck Sport treibt? Irrtum, Irrtum. Er übt ein althergebrachtes Verlangen nach Herrschaft, nach Einzigartigkeit und Rangordnung aus, das ihm ohne Zweifel angeboren ist.« Vor Glück schluchzend, erstickte der Vater seinen Sohn fast mit Küssen, hielt sich für einen vom Glück begünstigten Mann und fügte eine Null an die bereits großzügige Honorarabrechnung, die ihm Professor Acémila geschickt hatte. Überzeugt davon, daß diese Manie, bei den Fußballspielen seiner Kameraden als Schiedsrichter zu wirken, aus dem beherrschenden Drang nach Unterdrückung und Überlegenheit herrühre, der später seinen Sohn zum Herrn der Welt (oder doch wenigstens Perus) machen würde, verließ der Industrielle an vielen Tagen sein vielgeschäftiges Büro, um – Schwäche des Löwen, der gerührt weint, wenn er sein Junges das erste Schaf reißen sieht – zu seinem Privatstadion in La Perla zu gehen und väterlich zu genießen, wie Joaqum in dem hübschen Dress, den er ihm geschenkt hatte, hinter diesem entarteten Durcheinander (den Spielern?) herpfiff.
    Zehn Jahre später konnten die verwirrten Eltern nicht mehr umhin, sich zu sagen, daß die astralen Prophezeiungen vielleicht einen übertriebenen Optimismus gezeitigt hatten. Joaqum Hinostroza Bellmont war achtzehn Jahre alt und hatte die letzte Klasse der Sekundärschule mehrere Jahre nach den Kameraden, mit denen er angefangen hatte, erreicht, und nur dank der Philanthropie der Familie. Die Gene des Welteroberers, die sich nach Lucio Acémilas Aussage unter der harmlosen Neigung zum Fußballschiedsrichter verbargen, kamen nirgendwo zum Vorschein, und statt dessen war es schrecklicherweise nicht mehr zu verbergen, daß der Aristokratensohn zu überhaupt nichts zu gebrauchen war, es sei denn, Freistöße anzuordnen. Seine Intelligenz, beurteilte man sie nach dem, was er sagte, ordnete ihn, mit Begriffen Darwins, zwischen Oligophrenen und Affen ein. Und sein Mangel an Witz, an Ambitionen, an Interesse für alles, was nicht mit der aufregenden Tätigkeit eines Schiedsrichters zu tun hatte, machte aus ihm ein absolut fades Wesen.
    Allerdings zeigte der Knabe, was sein erstes Laster (das zweite war der Alkohol) anging, etwas, was man durchaus Talent nennen konnte. Seine monströse Objektivität (im geheiligten Raum des Fußballplatzes und in der verzauberten Zeit des Wettkampfes?) gewann ihm Prestige als Schiedsrichter bei Schülern und Lehrern von Santa Maria, und auch sein Blick – Sperber, der aus den Wolken unter dem Johannisbeerstrauch die Ratte entdeckt, die sein Mittagessen sein wird –, der ihn befähigte, auf jede Distanz und aus jedem Winkel unfehlbar den listigen Fußtritt des Verteidigers gegen das Schienbein des Mittelstürmers oder den gemeinen Ellenbogenstoß des Linksaußen gegen den Torwart, der gleichzeitig springt, zu entdecken. Einzigartig war auch seine Allwissenheit, was die Regeln anging, und seine begnadete Intuition, mit der er die reglementarischen Lücken mit blitzschnellen Entscheidungen zu füllen verstand. Sein Ruhm drang über die Mauern von Santa Maria, und der Aristokrat von La Perla begann Schul wettkämpfe und Spiele zwischen verschiedenen Stadtteilen zu leiten, und eines Tages erfuhr man, daß er auf dem Fußballplatz von Potao (?) einen

Weitere Kostenlose Bücher