Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Sarita Huanca Salaverria nach geben könnte. Eines Nachmittags, nach einem Kaffee mit Hörnchen im Haiti auf der Plaza de Armas, konnte Joaqum die Rechte des Mädchens länger als eine Minute (exakt – sein Schiedsrichterverstand maß es genau) in seinen Händen halten. Wenig später gab es ein Spiel, in dem die Nationalmannschaft einer Bande von Mördern aus einem Land mit höchst spärlichem Ruhm (Argentinien oder so) gegenüberstand, die zum Spiel erschienen mit Nagelschu hen, Knie- und Ellenbogenschützern, in Wahrheit Instru menten, um den Gegner zu verletzen. Ohne auf ihre Argumente einzugehen (die freilich richtig waren), daß es in ihrem Land nämlich Sitte sei, so Fußball zu spielen – in Einklang mit Tortur und Verbrechen? –, wies Joaquîn Hinostroza Bellmont sie nacheinander vom Feld, bis die peruanische Mannschaft aus Mangel an Gegnern technisch siegte. Natürlich verließ der Schiedsrichter das Stadion auf den Schultern der Menge, und Sarita Huanca Sala-verria warf ihm, als sie allein waren, – ein Ausbruch von Perua nität? Sportsgeist? – die Arme um den Hals und küßte ihn. Einmal, als er krank war – die Zirrhose zersetzte insgeheim und unheilvoll die Leber des Mannes der Stadien und Arenen und verursachte ihm regelmäßig wiederkehrende Anfälle –, wich sie in der Woche, in der er im Hospital Carriön lag, nicht von seiner Seite, und Joaquin sah sie eines Nachts weinen; seinetwegen? Alles das ermutigte ihn, und täglich machte er ihr mit neuen Worten Heirats anträge. Es war vergeblich. Sarita Huanca Salaverria war bei allen Spielen dabei, die er leitete (die Chronisten verglichen seine Schiedsrichterarbeit mit dem Dirigieren einer Symphonie), begleitete ihn ins Ausland und war sogar in die Pension Colonial gezogen, wo Joaquîn mit seiner Schwester, der Pianistin, und seinen uralten Eltern lebte. Aber sie ließ nicht zu, daß seine Brüderlichkeit anders als keusch sei und sich in Ergötzen verwandele. Die Unsicherheit–Margerite, deren Blütenblätter man niemals zuende ausgezupft hat – verschlimmerte den Alkoholismus von Joaquin Hinostroza Bellmont, den man schließlich öfter betrunken als nüchtern sah. Der Alkohol war die Achillesferse seines beruflichen Lebens, der Makel, so sagen die Eingeweihten, der verhinderte, daß er in Europa als Schiedsrichter arbeiten konnte. Wie erklärt man sich jedoch, daß ein Mann, der soviel trank, einen Beruf mit solchen physischen Anstrengungen ausüben konnte? Tatsache ist – Rätsel, die die Geschichte pflastern –, daß er beide Neigungen zur gleichen Zeit entwickelte, und als er dreißig Jahre alt war, beide simultan; Joaquîn Hinostroza Bellmont fing an, seine Spiele betrunken wie eine Strandhaubitze zu leiten und sie im Geist in den Kneipen weiterzuführen.
    Der Alkohol unterhöhlte sein Talent nicht, verschleierte weder seinen Blick, noch schwächte er seine Autorität oder verlangsamte seinen Lauf. Allerdings sah man ihn hin und wieder mitten in einem Spiel vom Schluckauf gepeinigt, und – Verleumdungen, die die Luft verpesten und die Tugend mit Messern stechen – man versicherte, daß er einmal, von Sahara-Durst gepeinigt, einem Kranken pfleger, der einem Spieler zur Hilfe eilte, eine Flasche Wundalkohol entriß und sie austrank, als wäre es frisches Wasser. Aber diese Episoden – pittoreske Anekdoten, um den Genius gesponnene Mythologien – unterbrachen seine erfolgreiche Karriere keineswegs. Zwischen dem donnernden Applaus der Stadien und den wilden Besäufnissen, mit denen er seine Gewissensbisse – Zangen des Inquisitors, die im Fleisch wühlen, Folterbank, die die Gelenke auseinanderzerrt – in seiner Seele eines Missionars des wahren Glaubens (Zeuge Jehovas?) zu besänftigen suchte, denn er hatte unbedacht in einer Nacht jugendlicher Verrücktheit eine Minderjährige in Victoria (Sarita Huanca Salaverria?) vergewaltigt –, kam Joaquîn Hinostroza Bellmont in die Blüte seiner Jahre, er wurde fünfzig. Er war ein Mann mit breiter Stirn, Adlernase, durchdringendem Blick, von Güte und aufrechter Gesinnung und auf dem Gipfel seiner beruflichen Laufbahn angelangt.
    Zu dieser Zeit sollte Lima Schauplatz des wichtigsten Fußballereignisses eines halben Jahrhunderts werden, nämlich des Endspiels der Südamerika-Meisterschaft zwischen den Mannschaften Bolivien und Peru, die in den Vorspielen jede für sich ihren Gegnern schmähliche Tore verpaßt hatten. Obgleich der Brauch bestimmte, dieses Spiel von einem Schiedsrichter aus

Weitere Kostenlose Bücher