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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Gewühl der Südtribüne kam plötzlich – schwarz, mager, hochge wach sen, mit riesigen Zähnen – ein Mann, der mit Leichtigkeit die Umzäunung überkletterte und, unverständliche Schreie ausstoßend, auf das Feld lief. Es überraschte die Leute nicht so sehr, ihn halb nackt zu sehen – er trug kaum einen Lendenschurz um seine Hüften –, als daß er von Kopf bis Fuß am ganzen Körper Narben trug. Ein Röcheln der Panik erschütterte die Tribünen, alle begriffen, daß der Tätowierte den Schiedsrichter angreifen wollte. Kein Zweifel, der riesige Brüller rannte direkt auf das Idol der Fans zu (Gumercindo Hinostroza Delffn?), der ihn nicht gesehen hatte und ganz seiner Kunst hingegeben das Spiel lenkte. Wer war dieser gewaltige Angreifer? Vielleicht jener blinde Passagier, der auf geheimnisvolle Weise nach Callao gekommen und von der Nachtpatrouille überrascht worden war? War er derselbe Unglückselige, den die Obrigkeit euthanasisch beschlossen hatte zu exekutieren und dem der Wachtmeister (Concha?) in einer dunklen Nacht das Leben geschenkt hatte? Weder Hauptmann Lituma noch Wachtmeister Concha hatten Zeit, das herauszubekommen. Als er begriff, daß ein Held der Nation einem Attentat zum Opfer fallen sollte, wenn er nicht sofort eingriff, befahl der Hauptmann – Vorgesetzter und Untergebene hatten eine Methode, sich durch Bewegungen der Augenbrauen zu verständigen – dem Wachtmeister einzugreifen. Daraufhin zog Jaime Concha ohne aufzustehen seine Pistole und gab ihre zwölf Schüsse ab, die sich alle in verschiedenen Teilen des fast nackten Mannes (fünfzig Meter weit entfernt) eingruben. Auf diese Weise erfüllte der Wachtmeister – lieber spät als gar nicht, wie das Sprichwort sagt – den empfangenen Befehl, denn es handelte sich tatsächlich um den blinden Passagier von Callao!
    Es genügte, daß die Menge den potentiellen Henker ihres Idols, den sie noch vor wenigen Augenblicken gehaßt hatte, von Schüssen durchlöchert sah, um sich sofort – Anwandlungen einer sentimentalen, frivolen Koketterie des wankelmütigen Weibes – mit ihm zu solidarisieren, ihn zum Opfer zu machen und sich mit der Guardia Civil zu verfeinden. Ein Pfeifkonzert, das die Vögel am Himmel betäubte, erhob sich in die Luft. Die Tribünen im Schatten und in der Sonne drückten damit ihre Wut über das Schauspiel mit dem Neger aus, der dort auf der Erde lag und aus zwölf Löchern blutete. Die Schüsse hatten die Spieler durcheinandergebracht, aber der große Hinostroza (Tel-lez Unzâtegui?) hatte, sich selbst treu, keine Unter brechung erlaubt und zeigte über den Kadaver des Wilden hinweg weiter sein Können, taub dem Pfeifkonzert gegen über, dem jetzt Ausrufe, Schreie und Beleidigungen beige mischt waren. Schon begannen, farbenfroh flatternd, die ersten Vorläufer dessen zu fallen, was später eine Sintflut von Sitzkissen gegen den Polizeiposten von Hauptmann Lituma werden sollte. Dieser roch den Hurrican und beschloß, rasch zu handeln. Er befahl den Polizisten, die Tränengasgranaten bereitzuhalten. Auf jeden Fall wollte er ein Blutbad vermeiden. Ein paar Augenblicke später,
    als die Barrieren an verschiedenen Punkten des Rondells überwunden worden waren und sich hier und dort erhitzte Tauro-phile voller Kriegslust gegen das Stiergehege stürzten, befahl er seinen Männern, den Platz mit ein paar Granaten zu besäen. Weinen und Niesen, so dachte er, würden die Wutschnaubenden beruhigen, und der Frieden würde wieder auf der Plaza de Acho einkehren, sobald der Wind die chemischen Gase verweht hätte. Er befahl auch einer Gruppe von vier Polizisten, Jaime Concha zu umstellen, der zur Zielscheibe der erregten Menge geworden war; offensichtlich waren sie entschlossen, ihn zu lynchen, obwohl sie sich dazu dem Stier stellen mußten. Aber Hauptmann Lituma vergaß etwas ganz Wesentliches; er selbst hatte zwei Stunden vorher, um zu verhindern, daß Fans ohne Eintrittskarte, die drohend um den Platz herumlungerten, versuchen sollten, mit Gewalt in das Stadion einzudringen, angeordnet, die Metallgitter herun ter zulassen, die die Aufgänge zu den Tribünen verschlos sen. Als die Polizisten – gehorsame Befehlsbefolger – das Publikum mit einer Salve Tränengasgranaten bedachten und sich in wenigen Sekunden hier und dort pestilenzartige Wolken auf den Stufen bildeten, reagierten die Zuschauer mit Flucht. Sie sprangen auf, stießen und schubsten sich, hielten sich dabei ein Taschentuch vor den Mund und rannten weinend auf die

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