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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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einem neutralen Land leiten zu lassen, forderten beide Mannschaften, mit besonderem Nachdruck die Ausländer – Edelmut des Altiplano, mestizischer Adel der Kordilleren und Aymara-Ehrgefühl –, daß der berühmte Joaquîn Hinostroza Marroquïn dieses Spiel leiten sollte. Und da Spieler, Ersatzleute und Trainer mit einem Streik drohten, wenn man ihrem Wunsch nicht nachkäme, willigte der Verband ein, und der Zeuge Jehovas erhielt die Mission, dieses Spiel zu leiten, von dem jedermann voraussagte, es werde ein denkwürdiges Spiel werden. Die dicken grauen Wolken Limas öffneten sich an diesem Sonntag, damit die Sonne das Treffen erwärme. Viele Menschen hatten die Nacht im Freien verbracht, in der Hoffnung, eine Eintrittskarte zu bekommen (man wußte, daß sie seit einem Monat ausverkauft waren). Seit dem Morgengrauen war die Umgebung des Nationalstadions ein Gewimmel von Menschen auf der Suche nach Wiederverkäufern und von Leuten, die bereit waren, jede Art Verbrechen zu begehen, um hineinzukommen. Zwei Stunden vor dem Spiel hatte im Stadion nicht einmal mehr eine Stecknadel Platz. Viele hundert Bürger des großen Landes im Süden (Bolivien?), die von ihren sauberen Höhen im Flugzeug, im Auto oder zu Fuß nach Lima gekommen waren, hatten sich auf der Osttribüne versammelt. Die Hochrufe und die Lärm maschi nen machten eine gewaltige Stimmung, während man auf die Mannschaften wartete. Wegen der Größe der Volksansammlung hatte die Obrigkeit Vorsichts maß nahmen getroffen. Die berühmteste Brigade der Guardia Civil, jene, die in wenigen Monaten – Heldentum und Aufopferung, Kühnheit und Weltgewandtheit – Callao von Kriminellen und Bösewichtern gereinigt hatte, war nach Lima gezogen worden, um die Sicherheit und das Einvernehmen der Bürger auf den Tribünen und auf dem Platz zu garantieren. Ihr Chef, der berühmte Hauptmann Lituma, der Schrecken der Unterwelt, ging fieberhaft im Stadion auf und ab, lief die Tore und Zuwege ab, um zu prüfen, ob die Patrouillen an ihren Plätzen standen, und gab seinem kriegstüchtigen Adjutanten, dem Wachtmeister Jaime Concha, erfinderische Instruktionen. Auf der Westtribüne, inmitten der lärmenden Menge, so eng zusammengepreßt, daß kaum Luft zum Atmen blieb, waren beim Anpfiff außer Sarita Huanca Salaverria (die – Masochis-mus des Opfers, das an dem Vergewaltiger hängt – kein einziges Spiel versäumte, das er leitete) der ehrenwerte Don Sebastian Bergua, vor kurzem erst von seinem Schmerzenslager aufgestanden, wo er nach Messerstichen, die ihm von dem Arzneimittelvertreter Luis Marroquïn Bellmont (der mit einer ganz außerordentlichen Erlaubnis der Gefängnisdirektion auf der Nordtribüne im Stadion war?) zugefügt worden waren, seine Gattin Margarita und seine Tochter Rosa, bereits ganz wiederhergestellt von den Bissen, die sie – unseliges Morgen grauen im Urwald – von einem Rudel Ratten erlitten hatte.
    Nichts deutete auf die Tragödie hin, als Joaqum Hinostroza (Tello? Delfin?) – der wie gewöhnlich gezwungen war, eine olympische Runde zu drehen und sich für den Applaus zu bedanken – stolz und agil das Spiel anpfiff. Im Gegenteil, alles verlief in einer Atmosphäre von Enthusiasmus und Fairneß: die Aktionen der Spieler, der Beifall der Zuschauer, der die Angriffe der Stürmer und die Abwehr der Verteidiger belohnte. Vom ersten Augenblick an war es klar, daß sich die Vorhersagen erfüllen würden: das Spiel war ausgewogen, und obwohl fair, war es doch spannend. Kreativer denn je glitt Joaqum Hinostroza (Abril?) wie auf Schlittschuhen über den Rasen, ohne die Spieler zu stören, und immer im günstigsten Blickwinkel, und seine Entscheidungen, streng aber gerecht, verhinderten, daß – Hitze des Gefechts, das zu Streit wird – das Spiel in Gewalt ausartete. Aber – Grenzen der conditio humana – auch kein heiliger Zeuge Jehovas konnte verhindern, daß sich erfüllte, was – Indifferenz der Fakire, Phlegma des Engländers – das Schicksal gesponnen hatte.
    Der höllische Mechanismus nahm in der zweiten Halbzeit unaufhaltsam seinen Lauf, als die Spieler einer nach dem anderen hereinkamen und die Zuschauer bereits heiser waren und ihnen die Hände brannten. Hauptmann Lituma und Wachtmeister Concha glaubten naiv, alles laufe gut; nicht ein einziger Zwischenfall – Diebstahl, Schlägerei, Verlust eines Kindes – hatte den Nachmittag beeinträchtigt.
    Aber 13 Minuten nach 4 Uhr erlebten die 50000 Zuschauer das Unerhörte. Aus dem dichtesten

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