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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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entgegenstellte und ihn auf den Knien erwartete), überzeugt davon, es sei seine Pflicht, solange noch ein Hauch Leben in ihm war, zu verhindern, daß der Matador angegriffen würde, seinen Revolver zog und mit drei rasch aufeinander folgenden Schüssen den Lauf und das Leben der Liebenden beendete. Sarita fiel tot zu Füßen von Gumercindo Bellmont nieder. Der Mann von La Perla war der einzige unter den Toten dieses griechischen Nachmittags, der eines natürlichen Todes starb. Wenn man dieses in prosaischen Zeiten unerhörte Phänomen als natürlich ansehen kann, daß einem Mann beim Anblick seiner tot zu seinen Füßen liegenden Geliebten das Herz stehenbleibt und er stirbt. Er fiel neben Sarita zu Boden, und mit dem letzten Atemzug umarmten sie sich und traten so vereint in die Nacht der unglücklich Liebenden ein. (Wie ein gewisser Romeo und seine Julia?)
    Der Ordnungshüter mit makelloser Personalakte stellte mit einer gewissen Melancholie fest, daß trotz seiner Erfahrung und seiner Klugheit die Ordnung nicht nur gestört, sondern die Plaza de Acho und die Umgebung sich in einen Friedhof unbe-erdigter Kadaver verwandelt hatten, und benutzte die letzte Kugel, die ihm noch geblieben war – Seewolf, der sein Schiff auf den Grund des Ozeans begleitet –, um sie sich in den Schädel zu jagen und (männlich, wenn auch nicht erfolgreich) seine Biographie zu beenden. Kaum sahen die Polizisten ihren Chef dahinscheiden, als ihre Moral vollständig zusammenbrach; sie vergaßen ihre Disziplin, den Korpsgeist, die Liebe zur Institution und dachten nur daran, sich die Uniform vom Leibe zu reißen und in ziviler Kleidung, die sie den Toten entrissen, zu entkommen. Mehreren gelang es, aber Jaime Concha nicht, den die Überlebenden, nachdem sie ihn kastriert hatten, mit seinem eigenen Lederkoppel am Querbalken des Stierzwingers erhängten. Dort hing nun der gesunde Leser von Donald Duck, der fleißige Zenturion, und baumelte unter dem Himmel von Lima, der sich – um sich den Ereignissen anzupassen? – mit Wolken bezog und seinen winterlichen Nieselregen zu weinen begann …
    Würde die Geschichte mit diesem dantesken Gemetzel enden? Oder würde sie wie die Taube Phönix (das Huhn?) mit neuen Episoden und störrischen Figuren aus der Asche wieder auferstehen? Was würde aus dieser Stierkampf tragödie werden?
     

 
    XVII
     
    Wir fuhren um 9 Uhr morgens mit dem Colectivo, das wir am Parque Universitario nahmen, aus Lima ab. Unter dem Vorwand, noch ein paar letzte Einkäufe vor der Abreise machen zu müssen, war Tante Julia aus dem Haus meines Onkels fortgegangen und ich aus dem meiner Großeltern, als ginge ich in den Sender zur Arbeit. In einer Tüte hatte sie ein Nachthemd und Unterwäsche zum Wechseln mitgenommen; ich trug meine Zahnbürste, meinen Kamm und einen Rasierapparat (den ich, um die Wahrheit zu sagen, noch nicht sehr nötig hatte) in der Tasche.
    Pascual und Javier hatten die Fahrkarten gekauft und warteten am Parque Universitario auf uns. Zum Glück kam kein weiterer Passagier. Pascual und Javier setzten sich sehr diskret nach vorn zum Chauffeur und überließen uns, Tante Julia und mir, den Rücksitz. Ein typischer Wintermorgen mit verhangenem Himmel und ständigem Nieselregen begleitete uns ein gutes Stück durch die Wüste. Fast die ganze Fahrt über küßten Tante Julia und ich uns leidenschaftlich und drückten uns die Hände, ohne ein Wort zu sagen, und hörten dabei neben dem Lärm des Motors das Gerede von Pascual und Javier und hin und wieder die Kommentare des Chauffeurs. Um halb zwölf waren wir in Chincha, wo die Sonne strahlte und es angenehm warm war. Der saubere Himmel, die klare Luft, das Gewirr in den menschengefüllten Straßen schienen uns ein gutes Vorzeichen zu sein. Tante Julia lächelte zufrieden.
    Während Pascual und Javier zum Rathaus gingen, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung sei, nahmen Tante Julia und ich ein Zimmer im Hotel Sudamericano. Es war ein altes einstöckiges Haus aus Holz und Adobe mit einem überdachten Patio, der auch als Speisesaal diente, und einem Dutzend kleiner Zimmer, die zu beiden Seiten eines gekachelten Ganges aufgereiht waren wie in einem Bordell. Der Mann hinter dem Tresen bat uns um unsere Papiere; er gab sich mit meinem Journalistenausweis zufrieden, und als ich »und Frau« hinter meinen Namen schrieb, beschränkte er sich darauf, Tante Julia einen spöttischen Blick zuzuwerfen. Das Zimmerchen, das man uns gab, hatte einige zersprungene

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