Tante Julia und der Kunstschreiber
nun seien wir verheiratet. Wir küßten uns, und dann umarmten uns die Zeugen und der Bürgermeister. Der Chauffeur entkorkte die Flasche mit den Zähnen. Es gab keine Gläser, darum tranken wir aus der Flasche, die nach jedem Schluck weitergereicht wurde. Auf der Rückfahrt nach Chincha – alle waren fröhlich und vor allem erleichtert – versuchte Javier, bei katastrophalem Gehör, den Hochzeitsmarsch zu pfeifen. Nachdem wir das Taxi bezahlt hatten, gingen wir zur Plaza de
Armas, wo Javier und Pascual ein Colectivo nach Lima nehmen wollten. Es gab eines, das in einer Stunde fuhr, und wir hatten noch Zeit, im El Soi de Chincha zu essen. Dort machten wir den Plan. Javier sollte, sobald er nach Miraflores kam, zu Tante Olga und Onkel Lucho gehen, um der Familie die Temperatur zu messen, und uns dann anrufen. Wir würden am nächsten Morgen zurückfahren. Pascual mußte sich eine gute Entschuldigung ausdenken, um sein zweitägiges Fehlen im Sender zu entschuldigen.
Wir verabschiedeten uns an der Bushaltestelle und kehrten ins Hotel Sudamericano zurück und sprachen wie zwei alte Eheleute miteinander. Tante Julia fühlte sich elend und glaubte, es sei der Wein in Grocio Prado gewesen. Ich sagte, er habe mir ausgezeichnet geschmeckt, aber ich erzählte ihr nicht, daß es das erste Mal war, daß ich in meinem Leben Wein getrunken hatte.
Der Barde von Lima, Crisanto Maravillas, wurde im Zentrum der Stadt geboren, in einer Gasse an der Plaza Santa Ana, von deren Dächern man die lustigsten Drachen Perus steigen ließ, herrliche Objekte aus Seidenpapier, denen die kleinen in Klausur lebenden Nonnen des Klosters der Barfüßigen Schwestern durch ihre Oberfenster nachsahen, wenn sie sich stolz über Bar-rios Altos erhoben. Die Geburt dieses Knaben, der Jahre später den kreolischen Vais, die Marinera, die Polka zu schwindelerregenden Höhen erheben sollte, fiel gerade mit einer Drachentaufe zusammen, einem Fest, das in der Gasse von Santa Ana die besten Guitarristen, Kastentrommler und Sänger des Viertels zusammenführte. Als sie das Fensterchen des Zimmers H öffnete, wo die Entbindung stattfand, um anzuzeigen, daß die Bevölkerung dieses Winkels der Stadt Zuwachs bekommen hatte, sagte die Hebamme: »Wenn er durchkommt, wird er bestimmt Musikant.«
Aber es schien zweifelhaft, daß er überlebte. Er wog weniger als ein Kilo, und seine Beinchen waren so winzig, daß er wahrscheinlich niemals laufen würde. Sein Vater, Valentin Maravillas, der sein Leben damit zugebracht hatte, dem Viertel die Verehrung des HErrn von Limpias nahezubringen (er hatte in seinem eigenen Zimmer die Bruderschaft gegründet und – kühner Akt oder Schlauheit, um sich eines langen Lebens zu versichern – geschworen, daß sie vor seinem Tod mehr Mitglieder haben solle als die des Wundertätigen HErrn), erklärte, sein heiliger Schutzpatron werde dieses Wunder schon vollbringen. Er werde seinen Sohn retten und ihm erlauben, wie ein normaler Christ zu gehen. Seine Mutter, Maria Portal, eine Köchin mit begnadeten Händen, die niemals auch nur eine Erkältung gehabt hatte, war so erschüttert, als sie das so sehr erwünschte und von Gott erbetene Kind in diesem Zustand sah – die Larve eines Hominiden, ein trauriger Fötus? –, daß sie ihren Mann aus dem Haus warf, weil sie ihn dafür verantwortlich machte, und vor der gesamten Nachbarschaft beschuldigte sie ihn, wegen seiner Frömmelei nur ein halber Mann zu sein. Tatsächlich überlebte Crisanto Maravillas und lernte trotz seiner lächerlich kleinen Beine laufen. Ohne jede Eleganz, versteht sich, mehr wie eine Kasperpuppe, die jeden Schritt in drei Bewegungen aufteilt – Bein heben, Knie beugen, Fuß senken –, und so langsam, daß die, die mit ihm gingen, das Gefühl hatten, in einer Prozession zu gehen, wenn sie sich in den engen Gassen staut. Aber, sagten seine Eltern (sie hatten sich wieder vertragen), Crisanto geht wenigstens ohne Krücken und aus eigener Kraft und eigenem Willen durch die Welt. Don Valentin dankte dem HErrn von Limpias in der Kirche von Santa Ana kniend und mit feuchten Augen, aber Maria Portal sagte, nur der berühmte Arzt der Stadt, Dr. Alberto de Quinteros, ein Spezialist für Gichtbrüchige, der eine Unzahl von Paralytikern in Radrennfahrer verwandelt hatte, sei für das Wunder verant wortlich. Maria hatte in seinem Haus denkwürdige kreolische Bankette angerichtet, und der Weise hatte ihr Massagen, Übungen und Behandlungen gezeigt, damit die Extremitäten
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