Tante Julia und der Kunstschreiber
und als Schreibtisch benutzt wurde (die Lokalität war eine Adobehütte mit durchlöchertem Dach, durch das man den Himmel sehen konnte), als der Bürgermeister Wort für Wort die Dokumente durchzusehen begann. Die Tatsache, daß Tante Julia Bolivianerin war, weckte sein Mißtrauen. Es nützte uns gar nichts, ihm zu erklären, daß dies kein Hinde rungsgrund sei, daß auch Ausländer heiraten konnten, oder ihm mehr Geld anzubieten.
»Ich will damit nichts zu tun haben«, sagte er. »Daß das Fräulein Bolivianerin ist, kann sehr schlimm sein.« Gegen 3 Uhr nachmittags kehrten wir tot vor Hitze, staubig und deprimiert nach Chincha zurück. Tante Julia begann zu weinen. Ich umarmte sie, sagte ihr ins Ohr, es sei doch alles gut, ich liebte sie, ich wolle sie heiraten, auch wenn wir alle Dörfer von Peru abfahren müßten.
»Nicht weil wir nicht heiraten können«, sagte sie unter dicken Tränen und versuchte zu lächeln. »Weil es so lächerlich ist, was wir hier tun.«
Im Hotel baten wir den Chauffeur, eine Stunde später wiederzukommen, damit wir nach Grocio Prado fahren und sehen könnten, ob sein Gevatter zurückgekommen sei. Keiner von uns vieren hatte großen Hunger, so bestand das Mittagessen aus einem Käsebrot und einer Coca Cola, die wir stehend an einer Theke verzehrten. Dann gingen wir, uns auszuruhen. Trotz der schlaflosen Nacht und der Enttäuschungen am Morgen hatten wir Lust, uns in dem trüben und erdigen Licht auf der Decke mit den Rhomben leidenschaftlich zu lieben. Vom Bett aus sahen wir die Reste der Sonne, die dünn und schwach kaum noch durch das hohe Oberlicht, dessen Glas voller Schmutz war, hindurchdringen konnte. Danach, statt aufzustehen und uns mit unseren Verschworenen im Speisesaal zu treffen, schliefen wir sofort ein. Es war ein ängstlicher und unruhiger Schlaf, in dem zwischen heftigem Aufwallen des Verlangens, in dem wir uns suchten und uns instinktiv streichelten, Albträume hervorkamen; nachher erzählten wir sie uns. Uns beiden waren die Gesichter der Verwandten erschienen, und Tante Julia lachte, als ich ihr erzählte, ich hätte mich im Schlaf einen Augenblick gefühlt, als erlebte ich eine der gigantischen Katastrophen von Pedro Camacho. Ein paar Schläge an die Tür weckten mich. Es war dunkel, durch die Risse des Oberlichts sah man Streifen von elektrischem Licht. Ich rief, wir kämen schon, und während ich den Kopf schüttelte, um die Schwere des Schlafs abzuschütteln, zündete ich ein Streichholz an und sah auf die Uhr. Es war 7 Uhr abends. Ich fühlte, wie die Welt unterging. Wieder ein verlorener Tag, und schlimmer noch, ich hatte kaum noch Geld, um weiter nach Bürgermeistern suchen zu können. Ich tastete mich zur Tür, öffnete sie und wollte mit Javier schimpfen, weil er uns nicht geweckt hatte, als ich sah, daß er mich von einem Ohr zum anderen angrinste. »Alles in Ordnung, Varguitas«, sagte er stolz wie ein Pfau. »Der Bürgermeister von Grocio Prado nimmt die Trauung vor und bereitet den Trauschein und die Papiere vor. Hört endlich auf zu sündigen und beeilt euch. Wir warten im Taxi.« Er schloß die Tür, und ich hörte sein sich entfernendes Lachen. Tante Julia hatte sich im Bett aufgerichtet und rieb sich die Augen, und in der Dunkelheit konnte ich ihr überraschtes und ein bißchen ungläubiges Gesicht erraten. »Diesem Chauffeur werde ich mein erstes Buch widmen, das ich schreibe«, sagte ich, während wir uns anzogen. »Sing noch kein Siegeslied.« Tante Julia lächelte. »Nicht einmal, wenn ich die Urkunde in der Hand halte, werde ich es glauben.«
Wir verließen das Zimmer so hastig, daß wir uns fast umrannten, und als wir durch den Speisesaal kamen, wo schon viele Männer saßen und Bier tranken, rief einer Tante Julia mit so viel Charme ein Kompliment nach, daß viele lachten. Pascual und Javier saßen im Taxi, aber es war nicht dasselbe wie am Morgen, auch nicht derselbe Chauffeur. »Der wollte besonders schlau sein und unsere Situation ausnutzen, um das Doppelte zu kassieren«, erklärte Pascual. »Darum haben wir ihn dahin geschickt, wo er hingehört, und diesen Meister hier verpflichtet, eine anständige Person.« Bei dem Gedanken, daß der Austausch des Chauffeurs wieder einmal die Trauung verhindern könnte, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Aber Javier beruhigte uns. Am Nachmittag war der andere Chauffeur auch nicht mit ihnen nach Grocio Prado gefahren, sondern dieser. Sie erzählten uns, als wäre es ein Streich, sie hätten
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