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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sagte der Chauffeur. »Warten wir im Schatten auf ihn.« Wir setzten uns auf den Gehsteig unter das Dach des Rathauses, und von dort aus konnten wir bis ans Ende der geraden, ungepflasterten Straße sehen, wo im Umkreis von weniger als fünfzig Metern die baufälligen Häuschen und die Strohhütten zu Ende gingen und die Felder und die Wüste begannen. Tante Julia saß an meiner Seite, den Kopf auf meiner Schulter, und hatte die Augen geschlossen. So blieben wir etwa eine halbe Stunde und sahen die Bauern zu Fuß oder auf Eseln vorbeikommen, die Frauen, die Wasser aus einem Bach holten, der hinter einer der Ecken floß, als ein alter Mann auf einem Pferd herankam. »Warten Sie auf Don Jacinto?« fragte er uns und zog den Strohhut. »Er ist nach Ika gegangen, um mit dem Präfekten zu sprechen, damit er seinen Sohn aus der Kaserne kriegt. Die Soldaten haben ihn zum Militärdienst abgeholt. Er wird erst heute abend zurück sein.«
    Der Chauffeur schlug vor, wir sollten in Grocio Prado bleiben und die Wunderstätten der Melchorita besuchen, aber ich bestand darauf, unser Glück in anderen Dörfern zu versuchen. Nachdem wir eine Weile gehandelt hatten, willigte er ein, uns bis zum Mittag zu chauffieren.
    Es war erst 9 Uhr morgens, als wir unsere Fahrt begannen, die uns, über Eselspfade schaukelnd, in halb von den Feldern überwucherten Straßen im Sand versinken ließ, uns mal bis ans Meer, mal zu den Kordilleren brachte, und auf der wir praktisch die ganze Provinz von Chincha durchführen. Als wir nach El Carmen hineinfuhren, platzte uns ein Reifen, und da der Chauffeur keinen Wagenheber hatte, mußten wir vier das Auto selbst hochhalten, während er den Ersatzreifen montierte. Im Verlauf des Vormittags war die Sonne so glühend geworden, daß sie zu einer Strafe wurde, wir schwitzten in dem aufgeheizten Wagen wie in einem türkischen Bad. Das Kühlwasser fing an zu kochen, und wir mußten immer einen Kanister mit Wasser mitführen, um es von Zeit zu Zeit zu erneuern. Wir sprachen mit drei oder vier Bürgermeistern des Distrikts und mit ebenso vielen stellvertretenden Bürgermeistern von Ortschaften, zu denen manchmal nur vier Hütten gehörten. Es waren stämmige Männer, die man meistens auf den Feldern suchen mußte, wo sie die Erde bearbeiteten, oder im Laden, wo sie den Dorfbewohnern Öl und Zigaretten verkauften, und einen von ihnen, den von Sunampe, mußten wir in einem Graben, wo er seinen Rausch ausschlief, wachrütteln. Sobald wir die Gemeindeobrigkeit ausfindig gemacht hatten, stieg ich aus dem Taxi, manchmal von Pascual, manchmal von dem Chauffeur, manchmal von Javier begleitet – die Erfahrung zeigte uns, daß die Bürgermeister um so ängstlicher wurden, je mehr Personen wir waren –, um unsere Erklärungen abzugeben. Welches auch immer die Argumente waren, ich sah in den Augen des Bauern, Fischers oder Händlers (der von Chincha-Baja stellte sich selbst als Kurpfuscher vor) unweigerlich das Mißtrauen und einen Glanz von Furcht aufflackern. Nur zwei von ihnen weigerten sich direkt. Der von Alto Larân, ein Alter, der, während er sprach, ein paar Lasttiere mit Alfaifabündeln belud, sagte, daß er niemanden traue, der nicht aus dem Dorf sei, und der von San Juan de Yanac, ein schwarzer Bauer, der sehr erschrak, als er uns sah, denn er glaubte, wir seien von der Polizei und kämen, um ihn wegen irgend etwas zur Rechenschaft zu ziehen. Als er erfuhr, was wir wollten, wurde er wütend: »Das kommt überhaupt nicht in Frage. Irgend etwas Schlimmes muß dabei sein, wenn Weiße kommen und sich in diesem gottverlassenen Dorf trauen lassen wollen.« Die anderen benutzten Ausreden, die sich ähnelten. Die häufigste war, das Register sei verlorengegangen oder voll, und bis man ein neues aus Chincha schicke, könne das Bürger meisteramt weder Geburten noch Beerdigungen, noch Trauungen vornehmen. Die phantasievollste Antwort gab uns der Bürgermeister von Chavm: er habe keine Zeit, denn er müsse einen Fuchs töten, der jede Nacht zwei oder drei Hühner aus der Gegend stahl. Nur in Pueblo Nuevo waren wir fast so weit, unser Ziel zu erreichen. Der Bürgermeister hörte uns aufmerksam zu, nickte und sagte, wenn wir das Aufgebot umgehen wollten, würde uns das fünfzig Pfund kosten. Er maß meinem Alter keinerlei Bedeutung bei und schien zu glauben, was wir ihm versicherten, daß man jetzt nicht mehr mit 21, sondern mit 18 großjährig sei. Wir standen schon vor dem Brett, das über zwei Fässer gelegt worden war

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