Tante Julia und der Kunstschreiber
beschlossen, »uns ausruhen zu lassen«, damit Tante Julia nicht wieder eine unangenehme Situation bei der neuerlichen Abfuhr erleben müsse. Sie seien allein nach Grocio Prado gefahren, um die Angelegenheit zu klären. Sie hätten ein langes Gespräch mit dem Bürgermeister gehabt. »Ein außerordentlich kluger Cholo, einer jener überragenden Männer, die nur die Erde von Chincha hervorbringt«, sagte Pascual. »Du mußt es der Melchorita danken, indem du zu ihrer Prozession kommst.«
Der Bürgermeister von Grocio Prado hatte den Erklärungen von Javier ruhig zugehört, alle Dokumente sorgfältig durchgelesen, eine gute Weile nachgedacht und dann seine Bedingungen vorgebracht: 1000 Soi, aber unter der Bedingung, daß in meiner Geburtsurkunde die Sechs durch eine Drei ersetzt würde, so daß ich drei Jahre früher geboren war.
»Die Intelligenz des Proletariats«, sagte Javier. »Wir sind eine Klasse im Niedergang, das kannst du mir glauben. Das ist uns überhaupt nicht eingefallen, und dieser Mann aus dem Volk mit seinem glänzenden Menschen verstand hat es sofort gesehen. Jetzt ist alles klar, du bist bereits großjährig.« Im Bürgermeisteramt hatten der Bürgermeister und Javier handschriftlich aus der Sechs eine Drei gemacht, und der Mann hatte gesagt: »Es macht nichts, daß es nicht die gleiche Tinte ist, wichtig ist nur der Inhalt.« Wir kamen gegen 8 Uhr nach Grocio Prado. Es war eine wohltuend laue, sternklare Nacht, und in allen Häusern und Hütten des Dorfes flackerten die Lichter. Wir sahen ein stärker beleuchtetes Haus mit großem Kerzengeflacker zwischen dem Gemäuer, und Pascual sagte, indem er sich bekreuzigte, dies sei die Einsiedelei, in der die Selige gelebt habe.
Im Rathaus war der Bürgermeister gerade dabei, den Akt in ein dickes, schwarzeingebundenes Buch einzutragen. Der Boden des einzigen Raumes war aus Erde und gerade gesprengt worden, und ein feuchter Dunst stieg von ihm auf. Auf dem Tisch standen drei Kerzen, und ihr ärmlicher Schein zeigte auf den getünchten Wänden eine mit Heftzwecken befestigte peruanische Flagge und ein Bildchen mit dem Kopf des Präsidenten der Republik. Der Bürgermeister war ein dicker und ausdrucksloser Fünfzig jähriger. Er schrieb langsam mit einem Federhalter, den er nach jedem Satz in ein Tintenfaß mit langem Hals tunkte. Er begrüßte Tante Julia und mich mit einer düsteren Verbeugung. Ich schätzte, daß er, bei der Geschwindigkeit, mit der er schrieb, über eine Stunde an der Urkunde gearbeitet hatte. Als er fertig war, sagte er, ohne sich zu rühren: »Es werden zwei Zeugen benötigt.«
Javier und Pascual traten vor, aber nur der letzte wurde von dem Bürgermeister akzeptiert, denn Javier war minderjährig. Ich ging hinaus und sprach mit dem Chauffeur, der noch in dem Taxi saß; er willigte ein, für 100 Soi unser Zeuge zu sein. Er war ein schlanker Mulatte mit einem Goldzahn; er rauchte die ganze Zeit und war auf der Herfahrt stumm gewesen. In dem Augenblick, als der Bürgermeister ihm zeigte, wo er unterschreiben sollte, schüttelte er schwermütig den Kopf: »Ach du meine Güte«, sagte er, als bereute er etwas. »Wo hat man so eine Hochzeit gesehen, nicht einmal eine miserable Flasche Wein, um auf die Brautleute anzustoßen? Ich kann so etwas nicht bezeugen.« Er warf uns einen mitleidigen Blick zu, und von der Tür her fügte er hinzu: »Warten Sie einen Augenblick.«
Die Arme verschränkt, schloß der Bürgermeister die Augen, und es sah so aus, als wäre er eingeschlafen. Tante Julia, Pascual, Javier und ich sahen uns an, ohne zu wissen, was wir tun sollten. Und schließlich wollte ich einen anderen Zeugen auf der Straße suchen gehen.
»Das ist nicht nötig, der kommt wieder«, hielt Pascual mich zurück. »Außerdem ist, was er sagt, ganz richtig. Dieser Mulatte hat uns eine Lektion erteilt.«
»Nerven, die das aushallen, gibt es gar nicht«, flüsterte Tante Julia und nahm meine Hand. »Kommst du dir nicht vor, als raubtest du eine Bank aus, und die Polizei wäre schon im Anmarsch?«
Der Mulatte brauchte zehn Minuten, die uns wie Jahre vorkamen, aber er kam zurück und brachte zwei Flaschen Wein mit. Die Zeremonie konnte weitergehen. Sobald die Zeugen unterschrieben hatten, ließ der Bürgermeister Tante Julia und mich unterschreiben, öffnete das Gesetzbuch, zog eine Kerze heran und las so langsam, wie er schrieb, die entsprechenden Artikel über die ehelichen Rechte und Pflichten. Dann reichte er uns eine Urkunde und sagte,
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