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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Crisanto tragen und, obgleich sie so klein und rachitisch waren, auf den Wegen dieser Welt gehen lassen könnten. Niemand könnte sagen, Crisanto Maravillas habe eine Kindheit gehabt wie die anderen Kinder dieses alten Viertels, in dem er geboren wurde. Zu seinem Unglück oder zu seinem Glück erlaubte ihm sein kränklicher Organismus nicht, an irgendeinem der Spiele teilzunehmen, die den Körper und den Geist der Kinder aus der Nachbarschaft formten: er spielte nicht Fußball, konnte niemals in einem Ring boxen oder sich an einer Ecke prügeln, niemals nahm er an einer jener Schlachten mit Schleuder, Steinen und Fußtritten teil, in denen sich in den alten Straßen Limas die Burschen der Plaza Santa Ana und die Banden von Chirimoyo, Cocharcas, Cinco Esquinas, Cercado maßen. Er konnte nicht mit seinen Kameraden aus der Escuelita Fiscal der Plazuela de Santa Clara (wo er lesen lernte) losziehen, um Obst aus den Gärten von Cantogrande und Nana zu stehlen, konnte nicht nackt im Rfmac baden, nicht auf den ungesat-telten Eseln auf den Weiden von Santoyo reiten. Winzig, fast schon ein Zwerg, hager wie ein Besen, mit der schokoladenfarbenen Haut seines Vaters und den glatten Haaren seiner Mutter, sah Crisanto von weitem mit intelligenten Augen seinen Kameraden zu, beobachtete wie sie sich amüsierten, schwitzten, wuchsen und bei diesen Abenteuern, die ihm verboten waren, stärker wurden, und in seinem Gesicht stand ein Ausdruck ergebener Melancholie (friedfertiger Trauer?). Es sah eine Zeitlang so aus, als würde er so religiös wie sein Vater (der, außer mit der Verehrung des HErrn von Limpias, sein Leben damit verbracht hatte, bei Prozessionen die Sänfte verschiedener Christusgestalten und Jungfrauen zu tragen und die Gewänder zu wechseln), denn jahrelang war er ein fleißiger Meßdiener in den Kirchen der Nachbarschaft der Plaza Santa Ana. Da er zuverlässig war, die Stichworte auswendig kannte und so unschuldig aussah, sahen ihm die Pfarrer des Viertels die Langsamkeit und Schwerfälligkeit seiner Bewegungen nach und baten ihn oft, bei der Messe zu helfen, das Glöckchen beim Kreuzweg der Osterwoche zu läuten oder Weihrauch bei den Prozessionen zu schwenken. Wenn Maria Portal ihn so in das Meßdienergewand gehüllt sah, das ihm immer etwas zu groß war, und ihn voller Demut in gutem Latein rezitieren hörte, vor den Altären der Trinitarias, von San Andres, von Carmen, von Buena Muerte und sogar in der Kirche von Cocharcas (denn sogar bis zu diesem entlegenen Viertel rief man ihn), unterdrückte sie einen Seufzer, denn sie hatte sich für ihren Sohn ein stürmisches Schicksal als Soldat, Abenteurer, unwiderstehlicher Liebhaber gewünscht. Aber der König der Bruderschaften von Lima, Valentin Maravillas, fühlte, wie ihm das Herz schwoll bei der Aussicht, daß sein Fleisch und Blut Priester werden würde.
    Alle irrten sie sich, das Kind war nicht zur Religion berufen. Es war mit einem starken, intensiven Innenleben ausgestattet, und seine Sensibilität fand weder das Wie noch das Wo, sich richtig zu entfalten. Die Atmosphäre der flackernden Kerzen, des Weihrauchs, der Gebete, der Bilder und Danksagungen, der Responsorien und Riten und Bekreuzigungen und Kniefälle besänftigte nur seine heftige Gier nach Poesie, seinen Hunger nach Vergeistigung. Mari'a Portal half den Barfüßigen Schwestern bei ihren Back- und Hausarbeiten und war darum eine der wenigen Personen, die die strenge Klausur durchbrachen. Die hervorragende Köchin nahm Crisanto mit, und als dieser größer wurde (an Alter, nicht an Statur), hatten sich die Barfüßigen Schwestern so daran gewöhnt, ihn zu sehen (ein Etwas, ein Lappen, ein halbes Wesen, ein Stückchen Mensch), daß sie ihn im Kloster herumgehen ließen, während Maria Portal mit den kleinen Nonnen das himmlische Gebäck, den lockeren Maisbrei, die weißen Seufzer, die Zuckereier und das Marzipan bereitete, die sie später verkauften, um Geld für die Mission in Afrika zu bekommen. So kam es, daß Crisanto Maravillas mit zehn Jahren die Liebe kennenlernte …
    Das Mädchen, das ihn auf der Stelle verführte, hieß Fâtima, war so alt wie er und übte im weiblichen Universum der Barfüßigen Schwestern die bescheidenen Funktionen einer Dienstmagd aus. Als Crisanto Maravillas sie zum ersten Mal sah, hatte die Kleine gerade die groben Fliesen der Flure des Klosters gewischt und wollte die Rosen und Lilien des Gartens gießen. Sie war ein Mädchen, das, obwohl es in einen löchrigen Sack

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