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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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stürmischen Meer der Antillen versank in der letzten Nacht der panamesische Frachter ›Shark‹, dabei kamen alle acht Besatzungs mitglieder ums Leben, sie ertranken oder wurden von den Haien zerfleischt, von denen es in dem obengenannten Meer wimmelt.« Ich setzte für »zerfleischt« »gefressen« ein, strich »stürmisch« und »obengenannten«, bevor ich die Nachrichten abhakte. Er schimpfte nicht, denn Pascual schimpfte nie, aber er äußerte seinen Protest in der Bemerkung:
    »Dieser Don Mario muß auch immer meinen Stil versauen.“
    In dieser Woche hatte ich versucht, eine Erzählung zu schreiben, die auf einer Geschichte basierte, die ich von meinem Onkel Pedro gehört hatte, der Arzt auf einer Hazienda in Ancash war. Ein Bauer erschreckte einen anderen, indem er ihm eines Nachts im Zuckerrohrfeld als »Pishtaco«, als Teufel, verkleidet in den Weg trat. Das Opfer des Spaßes erschrak so sehr, daß es sein Buschmesser in den »Pishtaco« hieb und ihn mit gespaltenem Schädel in die andere Welt schickte. Dann floh der Bauer in die Berge. Einige Zeit später sah eine Gruppe Bauern einen »Pishtaco« durch das Dorf schleichen und brachte ihn mit Stockschlägen um. Der Tote, so stellte sich heraus, war der Mörder des ersten »Pishtaco«, der die Verkleidung dazu benutzte, nachts seine Familie zu besuchen. Die Mörder flohen nun ihrerseits in die Berge und kamen nachts als »Pishtacos« ins Dorf, wo zwei von ihnen bald von entsetzten Bauern mit Buschmessern getötet wurden. Die Bauern flohen nun ebenfalls usw. Ich wollte nicht etwa erzählen, was auf der Hazienda meines Onkels geschehen war, sondern das Ende, das ich mir selbst ausgedacht hatte, daß nämlich plötzlich zwischen den vielen falschen »Pishtacos« der echte Teufel leibhaftig auftauchte. Ich wollte meine Erzählung »Der qualitative Sprung« nennen, und mein Ziel war es, kalt, intellektuell, konzentriert und ironisch zu schreiben, wie eine Erzählung von Borges, den ich in diesen Tagen gerade entdeckt hatte. Ich widmete dieser Erzählung alles, was mir die Nachrichten von Panamericana, die Universität und die Kaffees im Bransa an Zeit übrigließen, und schrieb auch mittags und nachts zu Hause bei meinen Großeltern. In dieser Woche aß ich bei keinem meiner Onkel, machte keinen der gewohnten Besuche bei den Cousinen und ging auch nicht ins Kino. Ich schrieb und zerriß, oder besser gesagt, sobald ich einen Satz geschrieben hatte, schien er mir scheußlich, ich begann von neuem. Ich war davon überzeugt, daß kalligraphische und orthographische Fehler niemals zufällig waren, sie sollten aufmerksam machen, waren eine Warnung (des Unterbewußtseins, Gottes oder irgendeiner anderen Person), daß der Satz nichts tauge und man ihn noch einmal schreiben solle. Pascual klagte: »Oh je, wenn die Genaros diese Papierverschwendung entdecken, ziehen sie es von unserem Lohn ab.« Schließlich, an einem Donnerstag, glaubte ich, die Erzählung fertig zu haben. Sie war ein Monolog von fünf Seiten. Am Ende entdeckte man den Teufel in dem Erzähler. Nach den i z-Uhr-Nachrichten von El Panamericano las ich Javier in meinem Verschlag den »Qualitativen Sprung« vor.
    »Exzellent, Bruder«, urteilte Javier und klatschte. »Aber kann man heute noch über den Teufel schreiben? Warum nicht eine realistische Erzählung? Warum streichst du den Teufel nicht und läßt alles unter den falschen ›Pishtacos‹ geschehen? Oder, wenn nicht, eine phantastische Erzäh lung mit allen Gespenstern, die du dir vorstellen kannst. Aber ohne den Teufel, den Teufel laß raus, das riecht nach Religion, nach Frömmelei, nach altmodischem Zeug.«
    Als er gegangen war, zerriß ich den »Qualitativen Sprung« in kleine Stücke und warf ihn in den Papierkorb, beschloß, alle »Pishtacos« zu vergessen, und ging zum Mittagessen zu Onkel Lucho. Dort erfuhr ich, daß so etwas wie eine Romanze entstanden war zwischen der Bolivianerin und jemandem, den ich nur vom Hörensagen kannte, dem Großgrundbesitzer und Senator aus Arequipa, Adolfo Salcedo, der irgendwie mit unserer Familie verSchwagert war.
    »Das Gute an dem Verehrer ist, daß er Geld und eine gesicherte Position hat und daß seine Absichten mit Julia ernst sind«, kommentierte Tante Olga. »Er hat ihr einen Heiratsantrag gemacht.“
    »Das Schlimme ist, daß Don Adolfo fünfzig Jahre alt ist und diese schrecklichen Beschuldigungen immer noch nicht dementiert hat«, antwortete Onkel Lucho. »Wenn deine Schwester ihn heiratet, wird sie

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