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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Eigentum, unsittliches Verhalten. Hauptmann Jaime Concha hatte sich wieder an den Schreibtisch gesetzt, und sein Blick wanderte durch den Raum: »Ich weiß, jetzt weiß ich, an wen er mich erinnert«, lächelte er glücklich und zeigte auf den Stapel bunter Zeitschriften. »An die Neger aus den Geschichten von Tarzan, die aus Afrika.«
    Camacho und Arévalo hatten ihre Partie Dame wieder aufgenommen, Lituma setzte sein Käppi auf und knüpfte seinen Regenmantel zu. Als er hinaustrat, hörte er das Gekreisch des Taschendiebes, der aufgewacht war und nun gegen seinen Zellengenossen protestierte: »Hilfe, rettet mich! Der vergewaltigt mich!«
    »Halt die Schnauze, oder wir vergewaltigen dich«, verwarnte ihn der Hauptmann. »Laß mich in Ruhe meine Hefte lesen.« Von der Straße her konnte Lituma sehen, daß sich der Neger auf den Boden gelegt hatte, völlig unberührt von dem Geschrei des Taschendiebes, eines mageren Chinesen, der sich von seinem Schreck nicht erholen konnte. »Aufwachen und ein solches Gespenst vor sich sehen!« Lituma lachte und wandte sich mit seiner kräftigen Gestalt wieder in den Nebel, den Wind, die Schatten. Die Hände in den Taschen, den Kragen des Mantels hochgestellt, den Kopf eingezogen, setzte er ohne Eile seine Runde fort.
    Zuerst ging er in die »Trippergasse«. Dort fand er den Choclo Roman auf die Theke des Happy Land gestützt und über die Witze von Paloma del Llanto lachend, einer alten Tunte mit gefärbtem Haar und falschen Zähnen, die hier den Barmann machte. Er vermerkte in seinem Bericht, daß der Polizist Roman »allem Anschein nach alkoholische Getränke im Dienst zu sich genommen« habe, obwohl er nur zu gut wußte, daß Hauptmann Concha, ein Mann voller Verständnis für eigene und fremde Schwächen, darüber hinwegsehen würde. Dann entfernte er sich vom Meer und stieg die Avenida Sâenz Pena hinauf, die um diese Stunde toter war als ein Friedhof, und es kostete ihn einige Mühe, Umberto Quispe zu finden, der im Bezirk um den Markt Dienst tat. Die Stände waren geschlossen, ^nd auf Bretter oder Zeitungen, unter den Treppen oder unter Lastwagen zusammengekauert, schliefen heute weniger Landstreicher als sonst. Nach mehreren vergeblichen Runden und vielen Pfiffen mit dem Erkennungssignal traf er Quispe an der Ecke Colön/Cochrane. Er half einem Taxifahrer, dem Räuber den Schädel eingeschlagen hatten, um ihn auszurauben. Sie trugen ihn gemeinsam zur Unfallstation, wo er verbunden wurde, dann aßen sie eine Fischsuppe an dem ersten Stand, der öffnete, bei Dona Gualberta, die frischen Fisch verkaufte. Ein Streifenwagen holte Lituma in der Sâenz Pena ab und nahm ihn mit bis zur Fortaleza del Real Felipe, zu deren Füßen Manilas Rodrîguez, der Jüngste des Reviers, Wache hatte. Er überraschte ihn, wie er allein in der Dunkelheit Himmel und Hölle spielte. Ganz ernsthaft hüpfte er von Feld zu Feld, auf einem Fuß, auf beiden, und als er den Wachtmeister sah, stand er stramm:
    »Bei dieser Übung wird man warm«, sagte er und deutete auf die Zeichnung, die er mit Kreide auf den Bürgersteig gemalt hatte: »Haben Sie als Junge nie Himmel und Hölle gespielt, Herr Wachtmeister?«
    »Lieber Kreisel, und ich war gut im Drachensteigen lassen«, antwortete Lituma.
    Manilas Rodrîguez berichtete von einem Zwischenfall, der ihm, so sagte er, die Wache versüßt habe. Er war gegen Mitternacht durch die Galle Paz Soldân gegangen, als er ein Subjekt durch ein Fenster einsteigen sah. Er hatte den Kerl mit dem Revolver in der Hand gestellt, aber der hatte angefangen zu heulen und gesagt, er sei kein Dieb, sondern ein Ehemann, und seine Frau habe ihn darum gebeten, auf diese Weise, nämlich im Dunkeln durchs Fenster, einzusteigen. Und warum nicht durch die Tür, wie alle Menschen? »Weil sie ein bißchen verrückt ist«, weinte der Mann. »Wissen Sie, wenn ich als Dieb einsteige, ist sie viel zärtlicher. Manchmal will sie, daß ich sie mit dem Messer in der Hand oder sogar als Teufel verkleidet erschrecke. Wenn ich ihr den Gefallen nicht tue, gibt sie mir nicht einmal einen Kuß, Herr Wachtmeister.«
    »Der hat dein Milchgesicht gesehen und hat sich mit dir einen prächtigen Spaß erlaubt«, sagte Lituma und grinste. »Das war die reine Wahrheit«, versicherte Manilas. »Ich habe geläutet, wir sind rein, und die Frau, eine schnuckelige Mulattin, hat alles bestätigt, sie und ihr Mann hätten schließlich das Recht, Einbrecher zu spielen. Was man in diesem Beruf nicht alles sieht, Herr

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