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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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liefen ihm aus den Augen, sein großes Maul öffnete sich, und gequält, ungestüm, wild ließ er diesen Zungenbrecher, seine absurde Musik, hervorquellen.
    Lituma erwachte gegen 3 Uhr nachmittags, schlecht gelaunt und sehr müde, obwohl er sieben Stunden geschlafen hatte. Jetzt haben sie ihn wohl schon nach Lima gebracht, dachte er. Während seiner Katzenwäsche stellte er sich die Überführung des Negers vor. Wahrscheinlich hatte ihn der 9-Uhr-Streifenwagen mitgenommen; wahr schein lich hatte man ihm irgendeinen Lappen gegeben, damit er sich damit bedecke, hatte ihn in der Präfektur abgegeben, eine Karteikarte angelegt, ihn in die Zelle für die Verrückten gesteckt, und dort würde er jetzt hocken und sich die Läuse kratzen in dieser dunklen Höhle, unter den Vagabunden, Dieben, Randalierern und Raufbolden der letzten vierundzwanzig Stunden, zitternd vor Kälte und halbtot vor Hunger.
    Es war ein grauer und feuchter Tag. Im Nebel bewegten sich die Menschen wie Fische in schmutzigem Wasser, und Lituma ging in Gedanken versunken gemächlich zu Dona Gualberta, wo er essen wollte. Zwei Scheiben Brot mit frischem Käse und ein Kaffee.
    »Du bist heute so komisch, Lituma«, sagte Dona Gualberta, eine Alte, die das Leben kannte, »Geld- oder Liebeskummer?«
    »Ich denke an einen Kerl, den ich letzte Nacht gefunden habe«, sagte der Wachtmeister und probierte den Kaffee mit der Zungenspitze. »Er ist in das Lagerhaus am Terminal eingedrungen.«
    »Und was ist daran so merkwürdig?« fragte Dona Gualberta.
    »Er war splitternackt, voller Narben, das Haar wie ein Urwald, und er kann nicht sprechen«, erklärte Lituma. »Woher kann so ein Kerl kommen?«
    »Aus der Hölle!« lachte die Alte und nahm seinen Geldschein.
    Lituma ging zur Plaza Grau, um sich mit Pedralbes, einem Obermaat bei der Marine, zu treffen. Sie hatten sich vor Jahren kennengelernt, als der Wachtmeister noch Polizist und Pedralbes einfacher Matrose war. Beide hatten in Pisco gedient. Dann hatte ihr Schicksal sie etwa zehn Jahre lang getrennt, aber vor ungefähr zwei Jahren hatten sie sich wieder getroffen. Sie verbrachten ihre freien Tage gemeinsam, und Lituma fühlte sich bei den Pedralbes wie zu Hause. Sie tranken ein Bier in La Punta, dem Club für Hauptleute und Matrosen, und spielten Sapo. Sofort erzählte der Wachtmeister die Geschichte von dem Neger, und Pedralbes fand sehr schnell die Erklärung: »Ein Wilder aus Afrika, der als blinder Passagier auf einem Schiff gekommen ist. Während der Reise hat er sich versteckt, und als sie in Callao ankamen, ist er nachts ins Wasser gesprungen und hat sich so in Peru eingeschmuggelt.«
    Lituma kam es vor, als ginge die Sonne auf. Alles war plötzlich klar.
    »Du hast recht, das ist es«, sagte er und schnalzte bewundernd mit der Zunge. »Der kommt aus Afrika. Natürlich, das ist es. Und hier in Callao hat man ihn aus irgendeinem Grund abgesetzt. Vielleicht, um ihn nicht zu bezahlen, vielleicht hat man ihn im Schiffsraum entdeckt, vielleicht, um ihn loszuwerden.«
    »Man hat ihn nicht den Behörden übergeben, weil man genau wußte, daß die ihn nicht nehmen würden«, vervollständigte Pedralbes die Geschichte. »Sie haben ihn mit Gewalt abgeschoben: sieh zu, wie du weiterkommst, Wilder.« »Das heißt, der Kerl weiß nicht einmal, wo er ist«, sagte Lituma. »Das heißt, diese Laute sind nicht die eines Verrückten, sondern die eines Wilden; das heißt, dies Gekrächze ist seine Sprache.«
    »Das ist so, als wenn du ein Flugzeug besteigst, und auf dem Mars steigst du wieder aus, Bruder«, half Pedralbes. »Wie intelligent wir doch sind«, sagte Lituma. »Wir haben das ganze Leben des Kerls aufgedeckt.«
    »Wie intelligent ich bin, solltest du sagen«, protestierte Pedralbes. »Was wird jetzt aus dem Neger?«
    Wer weiß, dachte Lituma. Sie spielten sechs Partien Sapo, und vier davon gewann der Wachtmeister, so daß Pedralbes das Bier bezahlen mußte. Dann gingen sie in die Calle Chanchamayo, wo Pedralbes in einem Häuschen lebte, dessen Fenster vergittert waren. Domitila, Pedralbes' Frau, hatte die drei Kinder gefüttert, und als sie die beiden kommen sah, brachte sie das Jüngste ins Bett und befahl den anderen, auf gar keinen Fall an die Tür zu gehen. Sie strich sich das Haar glatt, nahm die beiden Männer am Arm, und sie gingen fort. Zuerst ins Kino Porteno in der Säenz Pena, um einen italienischen Film anzusehen. Lituma und Pedralbes gefiel er nicht, aber sie sagte, sie würde ihn sich sogar noch

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