Tante Julia und der Kunstschreiber
aber wieder war er sich vollkommen sicher. Es war jemand da, wie er niedergekauert in der Dunkelheit, der horchte und zu sehen versuchte. Es kam ihm vor, als höre er ein Atmen, ein Keuchen. Er hielt den Finger am Abzug und die Pistole in Brusthöhe. Er zählte bis drei und machte die Lampe an. Der Schrei überraschte ihn so sehr, daß sie ihm aus der Hand fiel und über den Boden rollte, wo Bündel, Ballen, die wie Baumwolle aussahen, Fässer und Balken auftauchten und (flüchtig, unpassend, unwirklich) die Gestalt des splitternackten Negers, der, zusammengekauert, mit den Händen das Gesicht zu verbergen suchte, aber durch die Finger hindurchlugte, die Augen vor Schrecken weit aufgerissen und auf die Laterne gerichtet, als käme die Gefahr aus dem Licht. »Stehengeblieben, oder ich brenn dir eins drauf! Stehengeblieben, oder du bist tot, Zambo!« brüllte Lituma so laut, daß ihm die Kehle schmerzte, dann bückte er sich und tastete nach der Lampe. Und dann, mit wilder Befriedigung: »Jetzt hast du verschissen, Zambo! Das ist dir danebengegangen!« Er war ganz verwirrt von seinem eigenen Geschrei. Jetzt hatte er die Taschenlampe wieder, der Lichtstrahl fuhr herum und suchte den Neger. Er war nicht geflohen. Da hockte er noch, und Lituma traute seinen Augen nicht. Das war kein Hirngespinst, kein Traum. Der Mann war splitternackt, ja, so wie er geboren worden war, keine Schuhe, keine Unterhose, kein Hemd, nichts. Und er schien sich nicht zu schämen oder zu merken, daß er nackt war, denn er bedeckte sich seinen Schweinskram nicht, der ihm fröhlich im Licht der Taschenlampe herumbaumelte. Von dem runden Licht strahl hypnotisiert, blieb er zusammengekauert, das Gesicht halb von den Händen bedeckt, sitzen und rührte sich nicht. »Hände über den Kopf, Zambo!« befahl Wachtmeister Lituma, ohne sich ihm zu nähern: »Ganz ruhig, wenn du nichts abbekommen willst. Du kommst in den Knast, weil du in privates Eigentum eingedrungen bist und die Zwillinge frei spazierenführst.«
Und gleichzeitig – aufmerksam auf das kleinste Geräusch lauschend, das irgendeinen Komplizen im Dunkel des Lagerhauses verraten würde– sagte sich der Wachtmeister: das ist kein Dieb, das ist ein Irrer. Nicht nur, weil er mitten im Winter vollkommen nackt war, sondern wegen dieses Schreis, den er ausgestoßen hatte, als er entdeckt wurde. Das war nicht der Schrei eines normalen Mannes, dachte der Wachtmeister. Das war ein höchst sonderbarer Laut, etwas zwischen Geheul, Eselsgeschrei, Gelächter und Bellen. Ein Laut, der nicht nur aus der Kehle zu kommen schien, sondern auch aus dem Leib, aus dem Herzen, aus der Seele.
»Ich hab gesagt, Hände über den Kopf, du Scheißer!« schrie der Wachtmeister und machte einen Schritt auf den Mann zu. Der gehorchte nicht und rührte sich nicht. Er war sehr schwarz und so mager, daß Lituma in der Dunkelheit die Rippen unter der Haut sah. Seine Beine waren wie Stöcke, aber er hatte einen gewaltigen Bauch, der sich über den Schamhaaren wölbte, und Lituma dachte sofort an die ausgemergelten Geschöpfe in den Armenvierteln, deren Leiber von Parasiten aufgebläht waren. Der Schwarze bedeckte sich noch immer das Gesicht, er war ganz still, und der Wachtmeister ging zwei Schritte auf ihn zu und beobachtete ihn; er war sicher, er würde im nächsten Augenblick losrennen. Verrückte haben keine Angst vor Revolvern, dachte er und machte noch zwei Schritte. Er war nur noch ein paar Meter von dem Schwarzen entfernt, und erst jetzt konnte er die Narben sehen, die ihm über die Schultern, die Arme, den Rücken liefen. Donnerwetter, Teufel auch, dachte Lituma. War das von einer Krankheit? Waren es Wunden oder Verbrennungen? Er sprach jetzt leise, um den Mann nicht zu erschrecken: »Ganz ruhig, ganz ruhig, Zambo. Die Hände über den Kopf, und dann gehen wir zu dem Loch, durch das du reingekommen bist. Wenn du dich ordentlich benimmst, gebe ich dir auf der Wache einen Kaffee, du mußt ja halb totgefroren sein, nackt bei diesem Wetter.«
Er wollte noch einen Schritt auf den Neger zugehen, als der Mann plötzlich die Hände vom Gesicht nahm – Lituma war verblüfft, als er unter der verfilzten, verklumpten Mähne diese entsetzten Augen, diese scheußlichen Narben, diese Schnauze sah, aus der ein einziger, langer, spitzer Zahn herausragte – und wieder diese zwitterhaften, unbegreiflichen, unmenschlichen Klagelaute ausstieß, unruhig, wild, nervös wie ein Tier, das einen Fluchtweg sucht, hin- und herblickte und
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