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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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kann nicht lügen! Das habe ich nie gelernt, ich kann es nicht!« »Schön, diese Unfähigkeit ehrt Sie«, ermunterte ihn der Richer. »Beweisen Sie es. Los, wie haben Sie sie vergewaltigt?«
    »Genau da liegt das Problem«, der Zeuge war verzweifelt und verschluckte sich. »Ich habe sie nicht vergewaltigt!« »Ich werde Ihnen etwas sagen, Herr Tello«, sagte der Richter, die Silben einzeln betonend, mit der Sanftheit einer Schlange, die voller Verachtung ist: »Sie sind ein falscher Zeuge Jehovas! Ein Betrüger!«
    »Ich habe sie nie angerührt, nie allein mit ihr gesprochen, gestern habe ich sie nicht einmal gesehen«, sagte Gumercindo Tello wie ein blökendes Schaf.
    »Ein Zyniker, ein Heuchler, ein geistig Pflichtver ges se ner«, urteilte der Richter wie ein Eisblock. »Wenn Gerech tig keit und Moral Ihnen nichts bedeuten, respektieren Sie wenigstens jenen Gott, den Sie so oft im Munde führen. Denken Sie daran, daß er Sie jetzt sieht, wie angewidert er sein muß, Sie so lügen zu hören.«
    »Weder mit meinen Blicken noch mit meinen Gedanken habe ich dieses Mädchen beleidigt«, wiederholte Gumercindo Tello in herzzerreißender Weise.
    »Sie haben sie bedroht, geschlagen und vergewaltigt«, donnerte die Stimme des Richters. »Mit Ihrer schmutzigen Lüsternheit, Herr Tello!«
    »Mit-mei-ner-schmut-zi-gen-Lü-stern-heit?« wiederholte perplex – Mann, dem man einen Schlag mit dem Hammer versetzt hat – der Zeuge.
    »Mit Ihrer schmutzigen Lüsternheit, ja mein Herr«, donnerte der Richter, und dann, nach einer kreativen Pause: »Mit Ihrem sündigen Penis!«
    »Mit-mei-nem-sün-di-gen-Pe-nis?« stotterte der Angeklagte mit versagender Stimme und Entsetzen im Gesicht. »Mein-sün-di-ger-Pe-nis-ha-ben-Sie-ge-sagt?“
    Irre und schielend wie Grashüpfer wanderten seine Augen vom Sekretär zum Richter, vom Boden zur Decke, von seinem Stuhl zum Schreibtisch, und dort verharrten sie, wanderten über Papiere, Akten, Tintenlöscher. Bis sie schließlich bei dem Brieföffner aus Tiahuanaco aufleuchteten, der zwischen den Dingen mit künstlerisch prähistorischem Glanz hervorstach. Dann eine rasche Bewegung, die weder dem Richter noch dem Sekretär Zeit ließ zu einem Versuch, ihn zu hindern, streckte Gumercindo Tello die Hand aus und ergriff das Messer. Er nahm keine drohende Haltung an, im Gegenteil – eine Mutter, die ihr Kleines schützt – richtete er, das versilberte Messer an seine Brust drückend, einen beruhigenden, gütigen, traurigen Blick auf die beiden vor Überraschung versteinerten Männer. »Sie beleidigen mich, wenn Sie glauben, ich könnte Ihnen etwas antun«, sagte er mit Büßerstimme.
    »Sie können nicht fliehen, Sie Wahnsinniger«, warnte ihn der Richter, als er sich wieder gefangen hatte. »Der Justizpalast ist voller Polizisten, man würde Sie töten.« »Fliehen, ich?« fragte der Mechaniker ironisch. »Wie wenig Sie mich kennen, Herr Richter.«
    »Sehen Sie nicht, daß Sie sich selbst anklagen?« insistierte der Richter. »Geben Sie mir den Brieföffner zurück.« »Ich habe ihn nur ausgeliehen, um meine Unschuld zu beweisen«, erklärte Gumercindo Tello ruhig.
    Der Richter und der Sekretär sahen sich an. Der Angeklagte war aufgestanden. Sein Gesicht trug den Ausdruck eines Nazareners. In seiner rechten Hand blinkte unheilverkündend und schrecklich das Messer. Seine linke Hand glitt ohne Eile zu der Falte seiner Hose, die den Reißverschluß verbarg, und mit schmerzvoller Stimme sagte er:
    »Ich bin rein, Herr Richter, ich habe niemals eine Frau erkannt. Für mich dient das, was andere zum Sündigen benutzen, nur dazu, Pipi zu machen …«
    »Halt«, unterbrach ihn Dr. jur. Barreda y Zaldïvar, dem ein fürchterlicher Gedanke gekommen war. »Was wollen Sie tun?«
    »Ihn abschneiden, ihn in den Müll werfen, um zu beweisen, wie unwichtig er für mich ist«, erwiderte der Angeklagte und deutete mit dem Kinn zum Papierkorb hin. Er sprach ohne Stolz, mit ruhiger Entschlossenheit. Der Richter und der Sekretär konnten, den Mund vor Staunen aufgerissen, nicht schreien. Gumercindo Tello hielt in der linken Hand bereits das Corpus delicti und hob das Messer, um es wie ein Scharfrichter, der die Axt streichelt und den Weg zum Hals des Verurteilten mißt, niedersausen zu lassen und den unbegreiflichen Beweis zu erbringen.
    Würde er es tun? Würde er sich so mit einem Schnitt seiner Mannheit entledigen? Würde er seinen Körper, seine Jugend, seine Ehre für eine ethisch abstrakte Demonstration

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