Tante Julia und der Kunstschreiber
opfern? Würde Gumercindo Tello das ehrenwerteste Richterzimmer von Lima zu einem Opfersaal machen? Wie würde dieses gerichtliche Drama zu Ende gehen?
VII
Die Liebesgeschichte mit Tante Julia ging unter vollen Segeln weiter, aber die Sache wurde immer komplizierter, weil es schwer wurde, sie geheimzuhalten. In beiderseitigem Einverständnis hatte ich, um keinen Verdacht in der Familie zu erwecken, meine Besuche bei Onkel Lucho drastisch eingeschränkt. Ich kam nur noch regelmäßig am Donnerstag zum Mittagessen. Für den Kinobesuch am Abend erfanden wir verschiedene Auswege. Tante Julia ging früh aus dem Haus und rief dann Tante Olga an, um ihr zu sagen, sie werde bei einer Freundin essen, und wartete an irgendeinem verabredeten Ort auf mich. Der Nachteil dabei war nur, daß Tante Julia stundenlang unterwegs sein mußte, bis ich von der Arbeit kam, und meistens mußte sie hungern. An anderen Tagen holte ich sie ohne auszusteigen mit dem Taxi ab. Sie erwartete mich, und kaum, daß der Wagen hielt, lief sie hinaus. Das war jedoch eine riskante Methode, denn wenn man mich entdeckte, wüßte man sofort, daß wir irgendetwas miteinander hätten; und dieser mysteriöse Mann, der sich hinten im Taxi verbarg, mußte jedenfalls Neugier, Spott und viele Fragen provozieren … Darum hatten wir beschlossen, uns weniger am Abend und öfter tagsüber in den Pausen zwischen den Sendungen zu sehen. Tante Julia nahm das Colectivo ins Zentrum, und gegen 11 Uhr morgens oder 5 Uhr nachmittags wartete sie auf mich in einer Cafeteria in der Camanä oder im Cream Rica am Jirón de la Union. Ich bereitete mehrere Nachrichten sendungen vor, und wir hatten zwei Stunden für uns. Das Bransa in der Colmena hatten wir gestrichen, weil sich dort alle Leute von Panamericana und Radio Central trafen. Hin und wieder (genau gesagt an den Zahltagen) lud ich sie zum Essen ein, dann blieben wir sogar drei Stunden zusammen. Aber mein magerer Lohn hielt solchen Ausschweifungen nicht stand. Eines Morgens, als Genaro jun. mir euphorisch über den Erfolg von Pedro Camacho erzählte, hatte ich ihn mit einer ausgeklügelten Rede davon überzeugt, meinen Lohn zu erhöhen, so daß ich runde 5000 Soi bekam. 2000 gab ich meinen Großeltern als Beihilfe für den Haushalt. Die restlichen 3000 reichten früher vollkommen aus für meine Laster: Zigaretten, Kino, Bücher. Aber seit ich in Tante Julia verliebt war, verflüchtigten sie sich im Handumdrehen, und ich war immer knapp, mußte mir oft etwas leihen und ging sogar zum Pfandhaus auf die Plaza de Armas. Da ich nämlich feste hispanische Vorurteile hatte, was die Beziehung zwischen Mann und Frau anging, und darum nicht zulassen konnte, daß Tante Julia eine Rechnung bezahlte, wurde meine wirtschaftliche Situation dramatisch. Um die Lage zu verbessern, begann ich etwas, was Javier streng »Prostitution meiner Feder« nannte, das heißt, ich schrieb Buchbesprechungen und Reportagen in Kulturbeilagen und Zeitschriften von Lima. Ich publizierte sie unter Pseudonymen, um mich weniger darüber schämen zu müssen, wie schlecht sie waren. Aber die 200 oder 300 Soi im Monat waren wie ein Tonikurri für mein Budget.
Diese Verabredungen in den Cafés im Zentrum von Lima waren nicht sehr sündig: lange, sehr romantische Gespräche, Händchenhalten, uns in die Augen sehen und, wenn die Topographie des Lokals es erlaubte, unsere Knie aneinanderreihen. Wir küßten uns nur, wenn niemand uns sehen konnte, und das war sehr selten, denn um diese Zeit waren die Cafés immer überfüllt mit geschwätzigen Büromädchen. Natürlich sprachen wir von uns, von dem, was uns blühte, wenn uns irgendein Mitglied der Familie entdeckte, darüber, wie wir diese Gefahr umgehen könnten, erzählten uns in allen Einzelheiten, was wir seit dem letzten Mal gemacht hatten (das heißt vor ein paar Stunden oder einem Tag), machten aber niemals Pläne für die Zukunft. Diese Zukunft war ein stillschweigend aus unseren Gesprächen gestrichenes Thema, wahrscheinlich, weil wir beide davon überzeugt waren, unsere Beziehung habe keine. Ich glaube aber, was wie ein Spiel begonnen hatte, wurde bei den keuschen Zusammenkünften in den rauchigen Cafés im Zentrum von Lima langsam ernst. Dort verliebten wir uns, ohne daß wir es merkten. Wir sprachen auch viel über Literatur; besser gesagt,. Tante Julia hörte zu, und ich sprach von der Mansarde in Paris (unabdingbarer Bestandteil meiner Berufung) und von all den Romanen, Dramen, Essays, die
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