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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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selten allein.« Seine Mutter, die junge Frau von baskischem Geblüt, hatte als Folge dieser Tragödie einen chronischen Schluckauf bekommen, der ihr Erbrechen verursachte, sie am Essen hinderte und die Heiterkeit der Leute provozierte. Sie hat nie wieder ein Wort gesprochen, nur brodelnde und rauhe Laute ausgestoßen. So verzehrte sie sich, die Augen vor Grauen weit aufgerissen, mit dem Schluckauf, bis sie ein paar Monate später an Auszehrung starb. Der Vater verkam, verlor seinen Ehrgeiz, jede Energie und die Gewohnheit, sich zu waschen. Als man ihm wegen seiner Nachlässigkeit schließlich das Land abnahm, verdiente er sich den Lebensunterhalt eine Weile als Schiffer, indem er Menschen, Waren und Tiere von einem Ufer des Huallaga ans andere fuhr. Aber eines Tages zerschmetterten die steigenden Fluten das Floß an den Bäumen, und er hatte keine Kraft, noch ein neues zu bauen. Er zog in die obszönen Hänge jenes Gebirges mit den mütterlichen Zitzen und lüsternen Hüften, das »Die schlafende Schöne« genannt wird, baute sich einen Unterschlupf aus Blättern und Zweigen, ließ Haupthaar und Bart wachsen und blieb dort jahrelang, lebte von Kräutern und rauchte Blätter, die Übelkeit verursachten. Als Federico als junger Mann den Urwald verließ, nannte man den ehemaligen Ingenieur den Zauberer von Tingo Maria; er lebte in der Nähe der Cueva de las Pavas mit drei eingeborenen Frauen aus Huânuca zusammen, mit denen er einige verwilderte Kinder mit geschwollenen Leibern gezeugt hatte.
    Nur Federico hatte es verstanden, der Katastrophe mit Kreativität zu begegnen. An dem Morgen, nachdem er verprügelt worden war, weil er die Schwester in der Hütte allein gelassen hatte, schwor der Junge (in wenigen Stunden zum Mann geworden), neben dem Häufchen kniend, das Marias Grab war, daß er sich bis zu seinem letzten Atemzug der Vernichtung jener mörderischen Spezies weihen würde. Um seinem Schwur Nachdruck zu verleihen, ließ er Blut aus den Wunden seiner Prügel auf die Erde tropfen, die das Mädchen bedeckte. Vierzig Jahre später – Beständigkeit des Rechtschaffenen, die Berge versetzt – konnte Don Federico Téllez Unzâtegui sich sagen, während sein Sedan über die Avenidas zu seinem sparsamen täglichen Mittagessen rollte, daß er ein Mann war, der sein Wort gehalten hatte. Denn in dieser ganzen Zeit waren wahrscheinlich durch seine Arbeit und seine Phantasie mehr Nagetiere ums Leben gekommen, als Peruaner geboren wurden. Eine schwierige, aufopfernde Arbeit ohne Belohnung, die aus ihm einen strengen Mann ohne Freunde und mit seltsamen Gewohnheiten gemacht hatte. Zu Anfang, als Kind, war das Allerschwierigste gewesen, den Ekel vor diesen Grautieren zu überwinden. Er begann mit einer sehr primitiven Methode, mit der Falle. Die erste kaufte er sich von seinem bißchen Geld im Möbellager der Matratzenfabrik »Der tiefe Schlaf« in der Avenida Raimondi. Sie diente ihm als Modell für die Herstellung vieler anderer. Er schnitzte Holz, bog Draht, und zweimal am Tag stellte er sie innerhalb der Grenzen des Hofes auf. Manchmal waren einige der gefangenen Tierchen noch lebendig. Erregt tötete er sie langsam oder quälte sie, indem er sie zerdrückte, ihnen die Glieder oder die Augen ausriß. Aber obwohl noch ein Kind, ließ seine Intelligenz ihn rasch begreifen, daß er sich nur selbst damit quälen würde, überließe er sich diesen Neigungen: seine Pflicht war es, quantitativ vorzugehen, nicht qualitativ. Es ging nicht darum, ein Höchstmaß an Leid pro Feindexemplar zu bereiten, sondern die größte Anzahl von Feinden in kürzester Zeit zu vernichten. Mit Klarsicht und einer für seine Jahre beachtlichen Willenskraft merzte er bei sich jede Sentimentalität aus und verfolgte seine Ausrottungsarbeit in Zukunft nach eiskalten, statistischen, wissenschaftlichen Kriterien. Er stahl sich Stunden in der Schule der Hermanos Canadiehses und vom Schlaf (aber nicht vom Spiel, denn seit der Tragödie spielte er niemals wieder) und perfektionierte die Fallen, indem er ein Messerchen einfügte, das den Körper des Opfers zerschnitt, so daß die Tiere sofort tot waren (nicht um ihnen Schmerzen zu ersparen, sondern um keine Zeit mehr mit nachträglichem Töten zu verlieren). Später konstruierte er Familienfallen mit breitem Boden, in denen eine Gabel mit Haken gleichzeitig Vater, Mutter und vier Junge aufspießen konnte. Seine Tätigkeit wurde in der Gegend bald bekannt, und unmerklich wurde aus der Rache und persönlichen

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