Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
psychischen und physischen Unglück die Zeitschrift, die ein Zeitungsjunge in das Fenster des Sedans schob, dieses bunte Titelbild, das sündhaft in der Sonne leuchtete. In seinem Gesicht breitete sich der Ausdruck von Mißfallen aus, weil das Titelfoto einen Strand zeigte und zwei Badenixen in jenen Trugbildern von Badeanzügen, die gewisse Hetären zu tragen wagten, als Don Federico mit einer Art schmerzhaften Reißens des optischen Nervs und den Mund wie ein Wolf aufreißend, der den Mond anjault, die beiden halbnackten und obszön fröhlichen Badenixen erkannte. Ihn überlief ein Schauer, der mit dem zu vergleichen war, den er an jenem Morgen im Amazonasgebiet an den Ufern des Pendencia verspürt hatte, als er in der von Rattendreck geschwärzten Wiege das zerstörte Skelett seiner Schwester erblickt hatte. Die Ampel zeigte Grün, die Autos hinter ihm hupten. Mit ungeschickten Fingern zog er seine Brieftasche heraus, bezahlte das schlüpfrige Produkt, fuhr an und spürte, daß ein Unfall drohte – das Steuer glitt ihm aus den Händen, der Wagen schleuderte –, er bremste und fuhr an den Straßenrand.
    Dort betrachtete er, vor Erregung zitternd, lange die schreckliche Offensichtlichkeit. Ein Zweifel war ausgeschlossen, das waren seine Töchter. Wahrscheinlich von einem unter den Badenden versteckten ruchlosen Photographen unbemerkt photographier!, sahen die Mädchen nicht in die Kamera, sie schienen sich zu unterhalten und lachten und lagen in dem wollüstigen Sand von Agua Dulce oder La Heradura. Federico konnte langsam wieder atmen. Trotz seiner Erbitterung gelang es ihm, über diese unglaubliche Kette des Zufalls nachzudenken; daß ein Strandgänger Laura und Teresa im Bild festhielt, daß eine unanständige Zeitschrift sie der verfaulten Welt ausstellte, daß er sie entdeckte … und die ganze erschreckende Wahrheit kam nun durch die Strategie des Zufalls ans Licht, vor seine Augen. Das hieß also, seine Töchter gehorchten ihm nur, wenn er zugegen war; das hieß, daß sie, kaum hatte er den Rücken gedreht, mit ihren Brüdern und mit, oh – Don Federico fühlte einen Dorn im Herzen –, seiner eigenen Gattin seiner Befehle spotteten und an den Strand gingen, sich entkleideten und sich zur Schau stellten. Tränen liefen über sein Gesicht. Er betrachtete die Badekleidung: zweiteilig, so weit reduziert, daß ihre Funktion nicht mehr darin bestand zu verhüllen, sondern ausschließlich darin, die Phantasie in lasterhafte Extreme zu katapultieren. Da waren sie, für jeden zugänglich, Beine, Arme, Leiber, Schultern, Hälse von Laura und Teresa. Er fühlte sich unaussprechlich lächerlich bei dem Gedanken, daß er diese Extremitäten, diese Glieder, niemals gesehen hatte, die sich jetzt vor aller Welt verschwenderisch zeigten. Er trocknete sich die Augen und ließ den Motor wieder an. Oberflächlich hatte er sich beruhigt, aber in seinem Inneren knisterte die Glut. Während der Sedan sehr langsam den Weg zu seinem Häuschen in der Avenida Pedro de Osma fortsetzte, sagte er sich, so wie sie nackt an den Strand gingen, war es wohl natürlich, daß sie in seiner Abwesenheit auch auf Feste gingen, Hosen trugen, sich mit Männern trafen, daß sie sich verkauften, vielleicht ihre Freier in seinem eigenen Haus empfingen? Mußte Dona Zoila vielleicht den Tarif festsetzen und kassieren? Ricardo und Federico jun. hatten wahrscheinlich die schmutzige Aufgabe, die Klienten heranzuschaffen. Fast erstickend sah Don Federico Téllez Unzâtegui diese erschütternde Arbeitsteilung entstehen: deine Töchter, die Freudenmädchen; deine Söhne, die Zuhälter, und deine Frau, die Kupplerin. Der tägliche Umgang mit der Gewalt – schließlich und endlich hatte er Millionen und Abermillionen lebendiger Wesen den Tod gebracht – hatte aus Don Federico einen Mann gemacht, den man nicht ohne großes Risiko reizte. Einmal hatte ein Agronom mit ernährungswissenschaftlichen Ambitionen gewagt, in seiner Gegenwart zu behaupten, es sei notwendig, wegen des Rindermangels in Peru, im Hinblick auf die nationale Ernährung, die Meerschweinchenzucht zu intensivieren. Wohlerzogen hatte Don Federico Téllez Unzâtegui den Vorwitzigen darauf aufmerksam gemacht, daß das Meerschweinchen ein direkter Vetter der Ratte sei. Dieser, ein Wiederholungstäter, zitierte Statistiken, sprach von ernährungswissenschaftlichen Vorteilen und von dem wohlschmeckenden Fleisch. Don Federico schritt daraufhin zur Tat und ohrfeigte ihn, und als der Ernährungs

Weitere Kostenlose Bücher