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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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wissenschaftler auf dem Boden lag und sich das Gesicht rieb, nannte er ihn das, was er war: einen unverschämten Kerl und Sympathisanten von Mördern. Jetzt, als er aus dem Auto stieg, es ohne Eile, mit gerunzelter Stirn, abschloß, sehr blaß auf seine Haustür zuging, spürte der Mann aus Tingo Maria vulkanische Lava in sich aufsteigen wie an dem Tag, an dem er den Ernährungswissenschaftler gezüchtigt hatte. In seiner Rechten hielt er wie eine glühende Stange die teuflische Zeitschrift und fühlte ein starkes Jucken in den Augen. Er war so benommen, daß er sich keine Strafe vorstellen konnte, die dem Vergehen entsprach. Sein Gehirn war wie benebelt, Zorn verwischte alle Gedanken, und das steigerte seine Bitterkeit, denn Don Federico war ein Mann, bei dem die Vernunft immer die Tat bestimmte und der jene Rasse von Primaten haßte, die wie die Tiere dem Instinkt nach handelten und nicht nach Überzeugungen. Aber dieses Mal, während er den Schlüssel aus der Tasche zog und unter Schwierigkeiten – die Wut machte seine Finger ungeschickt – die Tür seines Hauses aufschloß und aufstieß, begriff er, daß er nicht ruhig und angemessen handeln konnte, sondern unter dem Diktat des Zornes, daß er der Eingebung des Augenblicks folgte. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, atmete er tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Es beschämte ihn, daß diese Undankbaren das ganze Ausmaß seiner Demütigung sehen sollten. Sein Haus hatte unten eine kleine Diele, ein Wohnzimmer, das Eßzimmer und die Küche; die Schlafzimmer lagen im oberen Stock. Von der Tür des Wohnzimmers aus sah Don Federico seine Frau. Sie stand an der Anrichte und kaute voller Verzückung irgendeine widerliche Süßigkeit – Bonbons, Schokolade, dachte Don Federico, Fruchtgummi oder Toffee –, deren Reste sie noch zwischen den Fingern hielt. Als sie ihn sah, lächelte sie ihn mit ängstlichen Augen an und zeigte ihm mit einer Geste süßlicher Resignation, was sie aß.
    Don Federico ging ohne Eile auf sie zu und schlug mit beiden Händen die Zeitschrift auf, damit seine Frau die Titelseite in ihrer ganzen Schande betrachten konnte. Ohne ein Wort zu sagen, hielt er sie ihr vor die Augen und genoß es, wie sie plötzlich weiß wurde, die Augen weit aufriß und den Mund öffnete, aus dem ein Faden mit Keks versetzter Spucke zu rinnen begann. Der Mann aus Tingo Maria hob die rechte Hand und schlug die zitternde Frau mit seiner ganzen Kraft. Sie stöhnte auf, stolperte und fiel auf die Knie; noch immer sah sie mit einem Ausdruck von Frömmelei, von mystischer Entrücktheit auf das Titelblatt. Don Federico, groß, hochaufgerichtet, gerechtigkeits lie bend, betrachtete sie anklagend. Dann rief er trocken nach den Schuldigen: »Laura! Teresa!«
    Ein Geräusch ließ ihn den Kopf wenden. Da standen sie am Fuß der Treppe. Er hatte sie nicht herunterkommen hören. Teresa, die Größere, trug einen Kittel, als hätte sie gerade geputzt, und Laura trug ihre Schuluniform. Die Mädchen sahen verwirrt die kniende Mutter und den Vater an, der langsam, feierlich auf sie zukam, wie der Hohepriester, der zum Opferstein geht, wo das Messer und die Vestalin ihn erwarten. Und schließlich sahen sie die Zeitschrift, die ihnen Don Federico, als er vor ihnen stand, richterlich vor die Augen hielt. Die Reaktion seiner Töchter war nicht die, die er erwartet hatte. Statt totenbleich zu werden und Entschuldigungen stotternd auf die Knie zu fallen, tauschten die frühreifen Mädchen errötend einen schnellen Blick, der nur heimliches Einverständnis ausdrückte, und Don Federico, auf dem Grund seiner Verzweiflung und seines Zornes, sagte sich, er habe noch nicht alle Bitterkeit dieses Tages getrunken. Laura und Teresa wußten, daß sie fotografiert worden waren, daß die Fotografie publiziert wurde, und – was konnte dieses Aufleuchten in den Augen sonst bedeuten – es hatte sie auch noch gefreut. Die Entdeckung, daß sich in seinem Haus, das er für rein gehalten hatte, nicht nur das städtische Laster des Strandnudismus eingenistet hatte, sondern auch der Exhibitionismus (und warum nicht auch die Nymphomanie?), ließ seine Muskeln erschlaffen; er hatte Kalkgeschmack im Mund und überlegte, ob das Leben noch einen Sinn habe, auch fragte er sich –das geschah in Bruchteilen einer Sekunde –, ob die einzige legitime Sühne für ein solches Greuel nicht der Tod sei. Der Gedanke, zum Mörder seiner Töchter zu werden, quälte ihn weniger, als zu wissen, daß Tausende von

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