Tante Julia und der Kunstschreiber
Diebin entlassen.« Er erklärte uns, daß er einen unfehlbaren Plan habe. Mitten in der Corrida wollte er die kleine Nancy mit einem eindrucksvollen Geschenk überraschen, mit einer spanischen Mantilla. Javier war ein großer Bewunderer des Mutterlandes und aller Dinge, die dazugehörten, Stierkampf, Flamenco, Sarita Montiel. Er träumte davon, nach Spanien zu gehen (so wie ich von Frankreich), und das mit der Mantilla war ihm eingefallen, als er eine Anzeige in der Zeitung gesehen hatte. Einen Monatslohn im Banco de Réserva hatte sie ihn gekostet, aber er war sicher, die Investition würde Früchte tragen. Er erklärte uns, wie alles ablaufen sollte. Er würde die Mantilla diskret eingepackt mit zum Stierkampf nehmen, einen Moment großer Erregung abwarten und das Paket öffnen, das Geschenk entfalten und um die zarten Schultern meiner Cousine legen. Was hielten wir davon? Wie würde die Kleine reagieren? Ich riet ihm, die Dinge abzurunden, ihr auch einen Sevillaner Kamm zu schenken, ein Paar Kastagnetten und ihr einen Fandango vorzusingen, aber Tante Julia unterstützte ihn mit Begeisterung und sagte, alles, was er sich ausgedacht habe, sei sehr schön und wenn Nancy ein Herz habe, würde sie bis auf die Knochen gerührt sein. Sie selbst wäre hingerissen, wenn ein Junge ihr solche Liebesbezeigungen machen würde.
»Da siehst du, was ich dir immer sage«, sagte sie zu mir, als wiese sie mich zurecht. »Javier ist ein echter Romantiker, er wirbt, wie man werben sollte.«
Javier schlug uns beglückt vor, zu viert an irgendeinem Tag der nächsten Woche auszugehen, ins Kino, zum Teetrinken, zum Tanzen.
»Und was würde die kleine Nancy sagen, wenn sie uns als Paar zusammen sieht?« holte ich ihn auf die Erde zurück. Aber er begoß uns mit einem Kübel kalten Was sers. »Sei doch kein Esel, sie weiß alles, und es gefällt ihr. Ich hab es ihr neulich erzählt.« Und als er unsere Über raschung sah, fügte er mit übermütigem Gesicht hinzu: »Ich hab vor deiner Cousine keine Geheimnisse, geschehe was wolle, sie wird mich schließlich doch heiraten.«
Ich war besorgt darüber, daß Javier ihr von unserer Romanze erzählt hatte. Wir vertrugen uns zwar sehr gut, und ich war sicher, sie würde uns nicht verraten, aber sie konnte irgend etwas Unvorsichtiges sagen, und die Neuigkeit würde sich wie ein Lauffeuer durch den Familienwald verbreiten. Tante Julia war verstummt, versuchte aber jetzt, sich nichts anmerken zu
lassen, indem sie Javier in seinem sentimentalen Stierkampfplan unterstützte. Wir verabschiedeten uns im Eingang des Gebäudes von Radio Panamericana, und Tante Julia und ich verabredeten uns für den Abend mit dem Vorwand, ins Kino zu gehen. Als ich sie küßte, flüsterte ich ihr ins Ohr: »Dank des Endokrinologen habe ich gemerkt, daß ich in dich verliebt bin.« Sie nickte. »Das sehe ich, Varguitas.«
Ich sah ihr nach, wie sie mit Javier zur Bushaltestelle ging, und erst dann bemerkte ich die Menschenmenge, die sich vor Radio Central drängte. Es waren vor allem junge Frauen, aber auch einige Männer standen dazwischen. Sie hatten sich in zwei Reihen aufgestellt. Aber je mehr Leute kamen, desto mehr löste sich die Ordnung unter Ellenbogenstößen und Drängeln auf. Neugierig ging ich hin, weil ich annahm, der Grund dafür müsse Pedro Camacho sein. Und tatsächlich, es waren Autogrammjäger. Durch das Fenster seines Stübchens sah ich den Schreiber, eskortiert von Jesusito und Genaro sen., wie er seine Unterschrift mit Arabesken in Hefte und Büchlein, lose Blätter und Zeitungen kratzte und seine Bewunderer mit olympischer Geste verabschiedete. Sie sahen ihn verzückt an und näherten sich in schüchterner Haltung, ehrerbietig stotternd. »Er bereitet uns Kopfschmerzen, aber ohne Zweifel ist er der König des nationalen Rundfunksystems«, sagte Genaro jun., legte mir eine Hand auf die Schulter und deutete auf die Leute: »Was sagst du dazu?«
Ich frage, seit wann die Autogrammausgabe laufe. »Seit einer Woche täglich eine halbe Stunde von sechs bis halb sieben. Du bist kein guter Beobachter«, sagte der fortschrittliche Unternehmer. »Liest du die Anzeigen nicht, die wir veröffentlichen? Hörst du nicht die Sendungen des Rundfunks, bei dem du arbeitest? Ich war skeptisch, aber sieh mal, wie ich mich geirrt habe. Ich glaubte, die Leute kämen nur zwei Tage, und jetzt zeigt sich, daß das einen ganzen Monat laufen kann.« Er lud mich auf einen Schluck in die Bolîvar-Bar ein. Ich bestellte
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