Tante Julia und der Kunstschreiber
während er sich erleichterte – die trockenen Pflaumen hatten seinen Darm in einen englischen Zug verwandelt –, daß er bei dem Gedanken an Herodes nicht mehr erzitterte. Und eines Morgens überraschte er sich dabei, wie er einem Bettelkind eine Kopfnuß gab.
Da wußte er, daß er, ohne es sich vorgenommen zu haben –Natürlichkeit, mit der die Gestirne von der Nacht zum Tage wandern –, zu den »praktischen Übungen« übergegangen war. Dr. Acémila hatte diese Anweisungen mit dem Untertitel »Direkte Aktion« versehen, und Lucho Abril Marroquin schien es, als hörte er ihre wissenschaftliche Stimme, während er sie wieder und wieder las. Im Gegensatz zu den theoretischen waren sie präzise. Es ging darum, auf persönlicher Ebene kleine Repressalien auszuüben, sobald einem bewußt geworden war, welche Schäden jene verursachten. Es sei notwendig, sie diskret auszuführen und der Demagogie der Sorte: »hilflose Kinder«, »ein Kind nicht einmal mit einer Rose schlagen«, »Schläge verursachen Komplexe« Rechnung zu tragen. Tatsächlich kostete es ihn am Anfang Mühe, und wenn er auf der Straße an einem von ihnen vorüberging, wußte weder er noch der andere, ob jene Hand auf Sem kindlichen Köpfchen eine Strafe oder eine derbe Zärtlichkeit war. Aber – Sicherheit, die die Praxis verleiht – nach und nach gelang es ihm, seine Schüchternheit und die uralten Hemmungen zu überwinden. Er wurde mutiger, verbesserte sich, suchte die Gelegenheiten, und nach ein paar Wochen, den Voraussagen der »Übungen« entsprechend, bemerkte er, daß die Kopfnüsse, die er an den Ecken verteilte, die Knüffe, die blaue Flecken machten, die Fußtritte, die die Empfänger aufquieken ließen, nicht mehr von moralischen und theoretischen Gründen erzwungene Übungen waren, sondern eine Art Vergnügen. Er mochte es, wenn diese kleinen Lotterieverkäufer weinten, die auf ihn zukamen, um ihm das Glück anzubieten, und überraschend eine Ohrfeige erhielten, und er erregte sich wie beim Stierkampf, wenn ein Blindenführer, der ihn angesprochen hatte – Blechteller, der in den Morgen klappert –, zu Boden fiel und sich das Schienbein rieb, wo er seinen Fußtritt gelandet hatte. Die »praktischen Übungen« waren riskant. Aber den Arzneimittelvertreter, der sich als tollkühn kennenlernte, hielt das nicht ab, es reizte ihn vielmehr. Nicht einmal an dem Tag, an dem er einen Ball zerplatzen ließ und von einer Bande von Pygmäen mit Stöcken und Steinen verfolgt wurde, gab er seine Bemühungen auf. Auf diese Weise beging er in den Wochen seiner Behandlung viele jener Aktionen, die man – geistige Trägheit, die die Leute verblöden läßt – Bosheit nennt. Er köpfte Puppen, mit denen Kindermädchen sie in den Parks beschäftigten, riß ihnen Lollies, Toffees, Bonbons weg, die sie gerade in den Mund stecken wollten, trat darauf oder warf sie den Hunden vor. Er streunte um den Zirkus, um Morgen Vorstellungen und Kasperltheater herum und zerrte, bis ihm die Finger steif wurden, an Zöpfen und Ohren, kniff in kleine Arme, Beine, Popos, und natürlich benutzte er die uralte Kriegslist, ihnen die Zunge herauszustrecken, Fratzen zu schneiden, und bis zur Stimmlosigkeit und Heiserkeit erzählte er ihnen vom Butzemann, vom bösen Wolf, von der Polizei, vom Knochenmann, der Hexe, dem Vampir und all den anderen Figuren, die die erwachsene Phantasie geschaffen hat, um sie zu erschrecken.
Aber – Schneeball, der abwärts rollt und zur Lawine wird – eines Tages erschrak Lucho Abril Marroqum so sehr, daß er sich in ein Taxi stürzte, um so schnell wie möglich in die Praxis von Dr. Acémila zu gelangen. Kaum war er, in kalten Schweiß gebadet, in das strenge Sprech zimmer eingetreten, rief er mit zitternder Stimme aus:
»Ich wollte gerade ein Mädchen unter die Straßenbahn von San Miguel stoßen. Im letzten Augenblick habe ich mich zurückgehalten, weil ich einen Polizisten gesehen habe.« Und schluchzend, wie eines von ihnen, schrie er: »Ich war drauf und dran, zum Verbrecher zu werden, Frau Doktor!« »Ein Verbrecher sind Sie schon vorher gewesen, Sie vergeßlicher junger Mann«, erinnerte ihn die Psychologin und betonte dabei jede Silbe. Und nachdem sie ihn von oben bis unten zufrieden betrachtet hatte, urteilte sie: »Sie sind geheilt.« Da erinnerte sich Lucho Abril Marroqum – Lichtstrahl in der Finsternis, Sternenregen über dem Meer –, daß er in einem Taxi hergefahren war. Er wollte auf die Knie fallen, aber die weise Frau
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