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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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nachsagen konnte. Anders als jedes Tier brauchten sie zu lange, um selbständig zu werden, und wieviele Verheerungen waren die Folge dieser Unfähigkeit! Alles machten sie kaputt, künstlerische Einbände, Kristallvasen, sie rissen Gardinen herunter, die die Hausfrau mit wunden Augen genäht hat, und ohne die geringste Scham griffen sie mit ihren kotbeschmierten Händen an die gestärkte Tischwäsche oder den Spitzenschal, der unter Entbehrungen und mit Liebe gekauft worden war. Ganz zu schweigen davon, daß sie ihre Finger in Steckdosen zu bohren pflegten und dadurch Kurzschlüsse verursachten oder sich dummerweise selbst mit Elektrizität umbrachten, mit allen Folgen für die Familie: weißer Kindersarg, Grabstätte, Trauerfeier, Anzeige in »El Comercio«, Trauerkleidung, Trauerzeit.
    Er nahm die Gewohnheit an, diese Übung während seines Hin-und Rückwegs zwischen seiner Firma und San Miguel auszuführen. Um sich nicht zu wiederholen, machte er zu Beginn eine rasche Zusammenfassung aller während der vorherigen Reflexionen zusammengetragener Beschuldigungen und ging dann dazu über, neue zu entwickeln. Die Themen fügten sich mit Leichtigkeit aneinander, und niemals fehlte es ihm an Beweisen.
    Das wirtschaftliche Delikt, zum Beispiel, gab ihm Stoff für dreißig Kilometer Fußmarsch. Denn, war es nicht zum Verzweifeln, wie Kinder das Familienbudget ruinierten? Sie belasteten das Einkommen der Eltern in umgekehrter Beziehung zu ihrer Größe nicht nur wegen ihrer hartnäckigen Naschhaftigkeit und der Empfindlichkeit ihres Magens, der spezielle Nahrungsmittel forderte, sondern wegen der unendlich vielen Institutionen, die ihretwegen entstanden waren: Hebammen, Kinderkrippen, Kindergärten, Kindermädchen, Zirkus, Vorschule, Morgenvorstellungen, Spielzeugläden, Jugendämter, Erziehungsanstalten, ganz zu schweigen von den vielen Spezialitäten für Kinder, die –parasitenhafte Ableger, die die Mutterpflanze ersticken – ihretwegen in der Medizin, der Psychologie, der Odontologie und anderen Wissenschaften entstanden waren, also mit einem ganzen Heer von Leuten, die von den armen Eltern gekleidet, ernährt und in Pension geschickt werden mußten. Lucho Abril Marroquin hätte eines Tages fast geweint bei dem Gedanken an die jungen Mütter, die eifrig bedacht auf ihre Moral und was die Leute sagen, sich lebendig begruben, um ihre Nachkommen zu hüten, auf Feste, Kino und Reisen verzichteten, mit dem Ergebnis, daß sie von ihren Männern verlassen wurden, die sich, weil sie so oft allein ausgehen mußten, unweigerlich in Sünde verstrickten. Und wie dankten die Nachkommen ihnen diese schlaflosen Nächte und Leiden? Indem sie erwachsen wurden, ihren eigenen Haushalt gründeten und ihre Mütter in der Einsamkeit des Alters zurückließen. Auf diese Weise kam er unmerklich dazu, den Mythos ihrer Unschuld und Güte zu zerstören. Rissen sie etwa nicht unter dem bekannten Alibi, keinen Verstand zu haben, den Schmetterlingen die Flügel aus, steckten Kücken lebendig in den Backofen, legten Schildkröten auf den Rücken, bis sie starben, und stachen Eichhörnchen die Augen aus? Die Schleuder zum Vogeltöten, war das vielleicht eine Erfindung der Erwachsenen? Und waren sie nicht erbarmungslos gegenüber schwächeren Kindern? Außerdem, wie sollte man Wesen intelligent nennen, die in einem Alter, in dem jedes Kätzchen sich selbst ernähren kann, noch ungeschickt herumtaumelten, bäuchlings gegen Wände stießen und sich überall Beulen schlugen? Lucho Abril Marroquin hatte einen sehr feinen Sinn für das Ästhetische, und das gab ihm Stoff zum Nachdenken auf vielen seiner Wanderungen. Er hätte es gern gesehen, wenn alle Frauen bis zu den Wechseljahren frisch und fest blieben, und es schmerzte ihn, die Verheerungen aufzuzählen, die die Schwangerschaften bei den Müttern anrichteten: die Wespentaillen, die in eine Hand paßten, wurden fett, und auch die Brüste und Popos und diese festen Bäuche – Flächen fleischlichen Metalls, die die Lippen nicht eindrücken – wurden schlaff, blähten sich auf, leierten aus, bekamen Streifen, und einige Frauen wurden, als Folge der Risse und der Krämpfe bei schwierigen Entbindungen, krumm wie Enten. Mit Erleichterung freute sich Lucho Abril Marroquin, wenn er an den statuenhaften Körper der kleinen Französin dachte, die seinen Namen trug, daß sie kein rundes, ihre Schönheit zerstörendes Wesen, sondern nur ein Stück Menschenabfall geboren hatte. Eines Tages stellte er fest,

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