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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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deiner Frau kommen. Du begreifst wohl, daß ich hier anständigerweise nicht mehr verbleiben kann. Ich werde deinem Bruder, dem Marschall, den Haushalt führen.«
    »Ich werde heute abend nach Hause gehen«, erklärte der Baron.
    »Gut! Ich komme also zum Frühstück!«
    Sie war überzeugt, daß ihre Anwesenheit bei dem Familienauftritt, der sich morgen abspielen mußte, notwendig wäre. Aus diesem Grunde suchte sie auch Viktor von Hulot noch am Vormittag auf und teilte ihm Hortenses Flucht mit.
    Als der Baron gegen halb elf Uhr abends heimkam, schlossen Mariette und Luise, die am Tage viel zu tun gehabt hatten, die Tür der Wohnung gerade ab. Hulot brauchte nicht zu läuten.
    Er ging sofort in das Zimmer seiner Frau und fand sie im Gebet vor dem Kruzifix knien. Eben sagte sie verzückten Angesichts und mit lauter Stimme:
    »Lieber Gott, sei gnädig mit uns und erleuchte ihn!«
    Sie betete für ihren Hektor.
    Bei diesem Anblick, der so ganz anders war als die Szene, die er eben verlassen hatte, seufzte er unwillkürlich laut auf. Adeline wandte sich um, Tränen in den Augen. Der Glaube, ihr Gebet sei erhört worden, erfüllte sie so mächtig, daß sie aufsprang und den Zurückgekehrten ungestüm umschlang. Das Glück der Leidenschaft machte sie stumm und löschte ihr alle Erinnerung. Nichts lebte und webte in ihr als die mütterliche Liebe, das Ehrgefühl für die Familie und die Anhänglichkeit der treuen Gattin eines treulosen Mannes. Dieses heilige Gefühl ist stärker als alles andere im Herzen einer Frau.
    »Hektor«, rief sie nach einer Weile, »du kehrst zu uns zurück? So hat sich der liebe Gott endlich doch unserer unglücklichen Familie erbarmt!«
    »Geliebte Adeline!« begann der Baron, indem er ganz ins Zimmer trat und seine Frau zu einem Lehnstuhle führte, »du bist das edelste Wesen, das ich kenne. Wie lange ist es her, daß ich deiner nicht mehr würdig bin!«
    »Lieber Freund, es bedarf deinerseits nur wenig, sehr wenig, und alles ist wieder, wie es einst war!«
    Sie erfaßte Hulots Hand, wobei sie dermaßen zitterte, daß Hulot glaubte, sie bekäme einen Nervenanfall.
    Adeline wagte nichts hinzuzufügen. Sie fühlte, daß jedes weitere Wort ein Vorwurf werden würde, und sie wollte das Glück nicht trüben, das ihre Seele durchströmte und er- glühte.
    »Hortense führt mich her«, sagte Hulot. »Die junge Frau kann uns durch ihren übereilten Schritt mehr Unheil bringen, als uns meine Verrücktheit für Valerie gebracht hat. Aber darüber wollen wir morgen reden. Hortense schläft, hat mir Mariette gesagt. Lassen wir sie in Ruhe!«
    Frau von Hulot empfand mit einem Male die tiefste Traurigkeit. Sie ahnte, daß ihr Mann weniger mit dem Verlangen, seine Familie wiederzusehen, heimgekehrt war, als vielmehr in irgendeinem fremden Interesse.
    »Lassen wir sie lieber auch morgen noch in Ruhe!« sagte sie. »Das arme Kind befindet sich in einem kläglichen Zustande. Sie hat den ganzen Tag geweint.«
    Andern Tags schritt der Baron schon um neun Uhr im Salon auf und ab. Indem er auf seine Tochter wartete, die er zu sich hatte bitten lassen, grübelte er nach Mitteln, jene Hartnäckigkeit zu besiegen, die am schwersten zu brechen ist: die einer beleidigten, unversöhnlich gestimmten jungen Frau. Es ist schwer, jungen Menschen zu predigen, denen Duldsamkeit und Verzicht fernliegen, weil sie die Leidenschaften und den Eigennutz der Welt nicht kennen.
    »Da bin ich, Vater!« sagte Hortense mit unsicherer Stimme. Sie sah sehr bleich aus.
    Hulot, der in einem Lehnstuhle saß, zog seine Tochter an sich und nahm sie auf seine Knie.
    »Es hat also einen Ehezwist gegeben, mein liebes Kind, und du hast eine Staatsaktion daraus gemacht! Das ist nicht recht von einer wohlerzogenen Tochter. Meine Hortense hätte einen so entscheidenden Schritt wie den, Mann und Haus zu verlassen, nicht tun dürfen, ohne ihre Eltern vorher zu befragen. Wenn du deine gute vortreffliche Mutter aufgesucht hättest, wäre mir der heftige Kummer erspart geblieben, den ich jetzt empfinde. Du kennst die Welt nicht! Sie ist grundschlecht. Man könnte zum Beispiel sagen, dein Mann hätte dich zu den Eltern zurückgeschickt. Kinder wie du, die lange in der Familie bleiben, verstehen nichts vom Leben. Eine unerfahrene junge Leidenschaft, wie die deine für Stanislaus, überlegt zu ihrem Unglück nichts; sie hört nur auf den ersten Impuls. Das kleine Herz geht durch und der Verstand mit! Um sich zu rächen, steckt man Paris in Brand! Wenn dein

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