Tante Lisbeth (German Edition)
mein Gewissen als Beamter der Verwaltung getan haben.«
»Ich danke Ihnen«, antwortete der Baron. »Ich werde mir überlegen, was Sie mir eben gesagt haben.«
»Wenn ich mir diese Bemerkung erlaubt habe, mein lieber Freund«, begann der General nochmals, »so geschieht das, weil Ihr persönliches Interesse weit mehr ins Spiel kommt als das meine oder mein Ehrgeiz. Der Marschall hat zunächst ja die Entscheidung. Und dann, Verehrter, schiebt man uns ja in einem fort tausend Dinge in die Schuhe, so daß eins mehr oder eins weniger das Kraut auch nicht fetter macht. Unter der Restauration hat man Leute zu wer weiß was ernannt, nur um ihnen das Gehalt zukommen zu lassen. Was sie dafür geleistet haben, war ganz egal ... Na, und wir sind ja alte Kriegskameraden.«
»Ich würde mich freuen«, stotterte Hulot, »wenn es unsere liebe alte Freundschaft nicht beeinträchtigte, daß ...«
»Ja«, meinte der General, da er Hulots Verlegenheit wahrnahm, »da werde ich wohl doch auf Urlaub gehen, alter Freund! Aber seien Sie vorsichtig! Sie haben Feinde, das heißt Leute, die es nach Ihrem schönen Gehalt gelüstet, und so ganz fest liegen Sie nicht vor Anker ... Ja, wenn Sie Abgeordneter wären wie ich, dann brauchten Sie nichts zu befürchten ... Seien Sie nur recht vorsichtig!«
Diese echt freundschaftlichen Worte hatten auf den Staatsrat einen tiefen Eindruck gemacht.
»Seien Sie offen, was ist denn los? Halten Sie nicht hinterm Berge damit!«
Der Gefragte drückte ihm die Hand.
»Wir sind zu alte Freunde, als daß ich Ihnen nicht einen Wink geben sollte. Wenn Sie in Ihrem Amte bleiben wollen, so müssen Sie sich ein bißchen um sich selber kümmern. Wenn ich Sie wäre, dann würde ich den Marschall nicht darum bitten, Marneffe in Coquets Stelle zu befördern, sondern meinen guten Stand bei ihm dazu benutzen, mich selbst in meiner Stellung zu erhalten, um in Frieden zu sterben ...«
»Meinen Sie, der Marschall könnte vergessen ...«
»Aber nein, alter Freund. Der Marschall ist in der Gesamtsitzung der Minister derartig für Sie eingetreten, daß von Ihrer Verabschiedung keine Rede mehr sein kann. Aber es war doch an dem. Geben Sie Ihren Feinden nicht von neuem Handhaben. Mehr möchte ich Ihnen nicht sagen. Im Augenblick können Sie noch Pair von Frankreich werden. Nur verlangen Sie nicht zuviel! Soll ich noch Urlaub nehmen?«
»Warten Sie, ich will erst einmal mit meinem Bruder sprechen«, gab Hulot zur Antwort. »Er soll das Terrain rekognoszieren.«
Man kann sich denken, in welcher Laune der Baron zu Frau Marneffe kam. Er hatte fast vergessen, daß er Vater sein sollte. Nichtsdestoweniger brachte es seine Freundin fertig, daß er nach der ersten Hälfte des Diners in derselben Stimmung war wie die andern, ja noch vergnügter, da er seine Sorgen zu unterdrücken hatte. Der Unglückliche ahnte nicht, daß er an diesem Abend zwischen sein Glück und die ihm soeben angezeigte Gefahr geriet, das heißt, daß er nunmehr zwischen seiner Stellung und Valerie zu wählen hatte. Gegen elf Uhr, als die Festlaune ihren Höhepunkt erreichte, zog Frau Marneffe den Baron in die Ecke eines Sofas.
»Mein liebes Alterchen«, begann sie leise, »deine Tochter hat sich stark darüber aufgeregt, daß Stanislaus hier verkehrt, und ihn im Stiche gelassen. Ein Starrkopf, deine Hortense! Laß dir von Steinbock den Brief zeigen, den ihm das Dummchen geschrieben hat. Die Trennung der beiden Turteltauben, die man mir in die Schuhe schiebt, bringt mich in die schlimmste Lage. Und doch habe ich kein anderes Unrecht begangen, als daß ich ein nettes Haus führe. Wenn du mich liebst, wirst du den Schaden reparieren, indem du die beiden wieder zusammenbringst. Ich versteife mich übrigens durchaus nicht darauf, deinen Schwiegersohn bei mir zu sehen. Du hast ihn bei mir eingeführt, entferne ihn auch wieder! Wenn du in deiner Familie Autorität hast, dann könntest du von deiner Frau wohl verlangen, daß sie diese Wiederversöhnung herbeiführt. Richte der verehrten alten Dame aus: wenn man mir ungerechterweise das Verbrechen zuschiebt, ich hätte eine junge Ehe auseinandergebracht, die Eintracht einer Familie gestört und Vater und Schwiegersohn zugleich verführt, so werde ich mir diesen Ruf schließlich wirklich verdienen und euch nach meinem Belieben in Verlegenheiten bringen. Lisbeth spricht davon, sich von mir abwenden zu wollen. Sie zieht mir ihre Familie vor, und ich kann es ihr nicht verdenken. Sie will mir nur treu bleiben, hat sie
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