Tante Lisbeth (German Edition)
und ab, sichtlich erregt von tumultuarischen Gefühlen. Mit einem Male blieb er stehen, nahm seine Attitüde an und schien sprechen zu wollen und doch keinen Mut dazu zu haben. Sein Gesicht strahlte. Seine Augen hingen gerührt an Valerie.
Eben kam Lisbeth.
»Tantchen«, flüsterte er ihr ins Ohr, »weißt du die Neuigkeit schon? Ich bin Vater! Es wird wohl auf Kosten meiner Liebe zu Cölestine sein. Kann ich aber dafür? Ein Kind zu bekommen von einer Frau, die man vergöttert! Vaterschaft des Blutes und des Herzens dazu! Ich sage dir, Lisbeth, ich werde für das Kind schuften! Er soll ein reicher Kerl werden. Natürlich wird es ein Junge! Valerie hat so ihre Anzeichen, hat sie mir gesagt. Na, wenn es ein Junge ist, dann soll er den Namen Crevel tragen. Ich will gleich einmal meinen Notar befragen.«
»Ich weiß, wie Valerie dich liebt«, entgegnete Lisbeth, »aber bei deiner und bei ihrer Zukunft: Mäßige dich!«
Während Lisbeth dieses Nebengespräch mit Crevel hatte, flüsterten auch Valerie und Stanislaus zusammen. Ihren Brief nahm sie wieder zu sich.
»Nun bist du frei, lieber Freund!« sagte Valerie. »Dürfen sich große Künstler überhaupt verheiraten? Ihr lebt nur in eurer Phantasie und in Freiheit. Sieh, ich werde dich so lieben, geliebter Meister, daß du dich niemals zu deiner Frau zurücksehnen sollst. Wenn du indessen den äußeren Schein wahren willst, so nehme ich es auf mich, dir Hortense binnen kurzem wieder zuzuführen.«
»Ja, wenn das möglich wäre!«
»Ich glaube bestimmt«, meinte Valerie pikiert. »Dein unglücklicher Schwiegervater ist ein Mensch, mit dem es in jeder Beziehung zu Ende geht. Aus Eitelkeit will er als Vielgeliebter dastehen. Man soll wissen, daß er eine Geliebte hat. Er ist hierin so eitel, daß ich ihn vollständig in meiner Hand habe. Seine Frau liebt ihn immer noch, und die beiden werden Hortenses Versöhnung mit dir zustande bringen. Wenn du aber nicht neue Stürme in deiner Ehe heraufbeschwören willst, bleibe nicht wieder drei Wochen lang von deiner Geliebten weg... Ich war todkrank. Mein Junge, man ist einer Frau gewisse Rücksichten schuldig, wenn man ein Gentleman ist, einer Frau, die man kompromittiert hat wie du mich, zumal wenn diese Frau auf ihren guten Ruf halten muß... Bleibe zu Tisch da, mein Engel! Vergiß aber nicht, daß ich um so kühler mit dir sein muß, als du der Urheber der allzu sichtbaren Geschichte bist!«
Man meldete den Marquis Montes. Valerie erhob sich, eilte ihm entgegen und tuschelte auch mit ihm eine Weile. Sie legte ihm genau die gleiche Zurückhaltung in seinem Benehmen auf wie eben Stanislaus. Infolgedessen trug der Brasilianer eine diplomatische Beherrschung zur Schau, obgleich ihn die große Neuigkeit überglücklich machte. Er war seiner Vaterschaft sicher. Er!
Dank dieser auf der Eitelkeit der Männer beruhenden Strategie hatte Valerie bei Tisch vier fröhliche, gutgelaunte, verliebte Männer um sich, von denen sich jeder einzelne für den Favoriten hielt. Marneffe machte den Witz, fünf Kirchenväter seien versammelt. Als fünften rechnete er sich selber.
Nur der Baron sah im Anfang bekümmert aus. Das hatte folgenden Grund. Als er sein Geschäftszimmer im Ministerium verlassen wollte, begegnete ihm der Referent der persönlichen Angelegenheiten, ein General, Hulots Kamerad seit dreißig Jahren. Hulot benutzte die Gelegenheit, um mit ihm von Marneffes Einrücken in Coquets Posten zu sprechen, der bereit sei, seinen Abschied einzureichen.
»Lieber Freund«, sagte Hulot unter anderem, »ich möchte die Angelegenheit dem Marschall nicht eher unterbreiten, bis wir beide eins darüber sind und ich Ihre Zustimmung habe.«
»Lieber Freund«, entgegnete der General, »erlauben Sie mir, daß ich Ihnen rate: aus persönlichen Gründen sollten Sie auf dieser Beförderung nicht bestehen. Ich habe Ihnen bereits einmal meine Ansicht gesagt. Es gäbe einen Skandal in den Büros, wo man schon allzuviel von Ihnen und Frau Marneffe spricht. Aber das ganz unter uns. Ich will Ihnen keineswegs zu nahe treten, Ihnen in keiner Weise entgegenstehen und Ihnen dies auch beweisen. Wenn Sie dabei verharren, wenn Sie den Posten des Herrn Coquet neu besetzen wollen – es wäre wirklich ein Verlust für das Kriegsministerium! Er arbeitet seit 1809 hier! – dann will ich vierzehn Tage auf Urlaub gehen und Ihnen beim Marschall freies Spiel lassen. Er liebt Sie ja wie seinen Sohn. Dann bin ich weder dafür noch dagegen, und ich werde nichts gegen
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