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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Spielball dieser Leute! Du wirst von ihnen noch zu wer weiß was für Dingen verleitet werden! Ich muß offen und ehrlich reden, denn du stehst an einem grausigen Abgrund.«
    Die Baronin und ihre Tochter sahen bei dieser Rede auf Lisbeth wie fromme Beterinnen, die der Madonna für eine Lebensrettung danken.
    Tante Lisbeth fuhr fort:
    »Das schreckliche Weib wollte die Ehe deines Schwiegersohnes zerstören. Warum? Das weiß ich nicht. Mein Verstand ist zu gering, um solch düstere, gemeine und verruchte Intrigen zu durchschauen. Frau Marneffe liebt Stanislaus durchaus nicht, aber sie will ihn zu ihren Füßen sehen. Aus Rachgier! Ich habe die Elende behandelt, wie sie es verdient. Das schamlose Weib! Ich habe ihr erklärt, daß ich ihr Haus verlassen, daß ich meine Ehre aus diesem Dreck retten wolle. Ich halte treu zu meiner Familie! Sobald ich erfuhr, daß Hortense ihren Mann verlassen habe, bin ich gekommen, Valerie, deine Heilige, die ist schuld an dieser zerstörten Ehe! Und bei einer solchen Intrigantin sollte ich bleiben? Unsere liebe kleine Hortense ist das Opfer der Dirne, die imstande ist, eine ganze Familie zu vernichten, nur um ein paar Brillanten zu ergattern. Ich halte Stanislaus nicht für schuldig, mag er auch schwach sein und auf die Dauer den Koketterien des durchtriebenen Frauenzimmers nicht widerstehen können. Sie wird euch alle miteinander an den Bettelstab bringen. Und du, Vetter, bist der Betrogene! Du brauchst ihr bloß zu erklären, daß du dich um die Beförderung ihres Mannes, dieses elenden Schuftes, nicht mehr kümmern willst und du wirst dich wundern, was passiert! Du bist dann glatt erledigt!«
    Die Baronin umarmte Tante Lisbeth mit der leidenschaftlichen Freude einer Frau, die sich gerächt sieht. Alle andern verharrten in tiefem Schweigen. Hulot wußte sofort, was diese Stille für ihn bedeutete. Ein furchtbarer Zorn stieg in ihm auf und verfinsterte seine Mienen. Die Gesichtsadern schwollen ihm, seine Augen wurden rot, seine Hautfarbe marmorbleich.
    Adeline warf sich ihm zu Füßen, ergriff seine Hände und beschwor ihn:
    »Gnade, lieber Freund, Gnade!«
    »Du verachtest mich!« sagte Hulot. Sein Gewissen durchzitterte seine Stimme.
    »Unsere Kinder«, fuhr er fort, »werden schließlich unsere Feinde.«
    »Vater!« warf Viktor ein.
    »Du unterbrichst deinen Vater!« versetzte der Baron mit donnernder Stimme und sah seinen Sohn an.
    »Vater, höre mich an!« erwiderte Viktor fest und bestimmt mit der Stimme eines Puritaners. »Ich weiß viel zu gut, daß ich dir Ehrerbietung schulde, als daß ich es jemals daran fehlen lassen könnte. Du wirst gewiß immer in mir den unterwürfigsten und gehorsamsten Sohn finden! Wir sind weit davon entfernt, deine Feinde zu sein. Ich habe mich mit meinem Schwiegervater lediglich deshalb entzweit, weil ich den Sechzigtausendfrancswechsel von Vauvinet eingelöst habe, und ganz gewiß ist das Geld in Frau Marneffes Händen! Vater, ich tadle dich durchaus nicht!« fügte er auf eine Gebärde des Barons hinzu. »Ich will zu Tante Lisbeths Erklärung nur noch bemerken, daß unsere Geldquellen leider beschränkt sind, lieber Vater, wenn auch meine Hingebung für dich grenzenlos ist.«
    »Geld!« rief der Greis leidenschaftlich aus, indem er durch diese Erklärung vernichtet in einen Stuhl sank. »Und das sagt mein Sohn! – Man wird Ihnen Ihr Geld zurückerstatten, Herr von Hulot!« sagte er, indem er aufstand.
    Er wandte sich nach der Tür.
    »Hektor!«
    Bei diesem Ruf kehrte sich der Baron noch einmal um und zeigte seiner Frau, die ihn mit der Kraft der Verzweiflung umfaßte, plötzlich ein von Tränen überströmtes Gesicht.
    »Geh nicht so weg! Verlaß uns nicht im Zorn! Ich habe dir nichts vorgeworfen!«
    »Wir haben dich alle lieb!« fügte Hortense dem rührenden Weheruf ihrer Mutter hinzu.
    Unbeweglich und mit hochmütig lächelndem Munde wie ein Standbild beobachtete Lisbeth die Gruppe. Gerade in dem Augenblick betrat der Marschall Hulot das Vorzimmer und machte sich laut vernehmlich. Alle Anwesenden begriffen die Wichtigkeit des Geheimnisses, und sofort änderte sich das Bild; jeder versuchte seine Gemütsbewegung zu verbergen.
    Vor der Tür entstand ein Wortwechsel zwischen Mariette und einem Soldaten, der so dringlich angenommen zu werden wünschte, daß die Köchin in den Salon hereinkam.
    »Herr Baron, ein Unteroffizier, der aus Algerien kommt, will den gnädigen Herrn durchaus sprechen.«
    »Er soll warten!«
    »Herr Baron«, flüsterte

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