Tante Lisbeth (German Edition)
sehr liebte!« entgegnete Lisbeth. »Sie ist leichtsinnig, gefallsüchtig; sie hat es gern, wenn man ihr den Hof macht, wenn man vor ihr die Komödie der Liebe spielt, wie sie es nennt, aber zu dir allein fühlt sie eine wirkliche Neigung.«
»Was läßt sie mir durch dich ausrichten?«
»Gib acht!« versetzte Lisbeth. »Du weißt, daß sie mit Crevel etwas gehabt hat. Du darfst ihr deshalb nicht böse sein, denn das hat sie für den Rest ihres Lebens außer Not gesetzt; aber sie verabscheut ihn, und die Sache ist so gut wie aus. Nur den Schlüssel zu einer Wohnung hat sie noch behalten ....«
»Rue du Dauphin!« rief Hulot überglücklich. »Dafür allein verzeihe ich ihr Crevel .... Ich war dort, ich weiß ...«
»Hier ist der Schlüssel«, sagte Lisbeth, »laß dir im Laufe des morgigen Tages einen ebensolchen machen, noch besser zwei.«
»Weiter?« sagte Hulot begierig.
»Genug! Ich komme morgen noch einmal zu euch zu Tisch. Du gibst mir Valeries Schlüssel zurück. Vater Crevel könnte nämlich das Exemplar von ihr zurückverlangen, das er ihr gegeben hat. Übermorgen gehst du dann dorthin und triffst dich mit Valerie und besprichst die ganze Sache. Du wirst völlig sicher sein, denn es sind zwei Ausgänge da. Sollte Crevel – er hat so seine galanten Gewohnheiten! – zufällig durch den einen Eingang hereinkommen, so geht ihr durch den andern fort, oder umgekehrt. Siehst du, du alter Sünder, was du mir nicht alles zu verdanken hast! Wie wirst du dich denn einmal revanchieren?«
»Ich tue für dich alles, was du willst!«
»Gut! Widersetze dich nicht meiner Heirat mit deinem Bruder!«
»Du willst Frau Marschall Hulot werden! Die Gräfin von Pforzheim! Du!« rief Hulot überrascht aus.
»Adeline hat sich als Baronin recht gut gemacht«, versetzte Tante Lisbeth bissig. »Höre, du alter Wüstling, du weißt, wie die Sachen stehen! Deine Familie könnte eines schönen Tages brotlos auf der Straße sitzen.«
»Ich fürchte es«, sagte Hulot ergriffen.
»Wer wird deine Frau und deine Tochter unterstützen, wenn der Marschall stirbt? Die Witwe eines Marschalls von Frankreich hat mindestens sechstausend Francs Pension, nicht wahr? Na also, alter Leichtfuß! Ich heirate nur, um deiner Frau und deiner Tochter das tägliche Brot zu sichern.«
»Auf diesen Ausweg war ich nicht gefaßt«, gab der Baron zu. »Ich werde bei meinem Bruder vorstellig werden. Deiner sind wir ja sicher .... Im übrigen sage meinem Engel, daß mein Leben ihm gehört!«
Nachdem der Baron Lisbeth in das Haus in der Rue Vanneau hatte gehen sehen, kam er zurück zum Whistspiel und blieb zu Hause.
Die Baronin war auf dem Gipfel des Glücks; ihr Mann schien wieder seiner Familie zu gehören, denn während der nächsten vierzehn Tage ging er morgens neun Uhr in sein Ministerium, war um sechs Uhr zu Tisch zurück und blieb den Abend über im Kreise der Seinen. Zweimal führte er Adeline und Hortense ins Theater. Mutter und Tochter ließen drei Dankmessen lesen und beteten zu Gott, er möge ihnen den Gatten und Vater erhalten, den er ihnen zurückgegeben.
Viktor Hulot sagte eines Abends, als sein Vater schlafen gegegangen war, zu seiner Mutter:
»Ach, wir sind glücklich! Vater ist heimgekehrt. Meine Frau und ich bedauern das geopferte Geld nicht, wenn das so bleibt.«
»Dein Vater ist bald siebzig Jahre alt«, antwortete die Baronin. »Er denkt noch immer an Frau Marneffe; ich habe es gemerkt. Aber bald wird er nicht mehr an sie denken. Die Leidenschaft für die Frauen ist nicht wie das Spiel, die Spekulationssucht oder wie der Geiz. Sie hat ein Ende.«
Die schöne Adeline – denn diese Frau war trotz ihrer fünfzig Jahre und bei allem Kummer immer noch schön – täuschte sich hierin. Galante Naturen, das heißt Männer, die von der Natur mit der köstlichen Fähigkeit beschenkt sind, über die Grenze hinaus zu lieben, die sonst der Liebe gesteckt ist, sind nie so alt, wie die Zahl ihrer Jahre angibt.
Während seiner soliden Periode war der Baron dreimal in der Rue du Dauphin, wobei er keinmal siebzig Jahre alt gewesen war. Die neubelebte Leidenschaft verjüngte ihn, und ohne Bedauern hätte er für Valerie seine Ehre, seine Familie, alles preisgegeben. Valerie war durchaus verändert und sprach nie von Geld, auch nicht von den zwölfhundert Francs Rente für ihren Sohn; im Gegenteil, sie bot dem Baron Geld an. Sie spielte die Frau von sechsunddreißig Jahren, die einen hübschen, armen, schwärmerischen und verliebten Studenten
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