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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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währen wird. Einen Monat warten! Man weiß, was das heißt. Sie überliefern mich dem Gespött meiner Feinde! Ich sitze wie auf einem Pulverfaß, und ich stehe für nichts, wenn die ganze Geschichte eines schönen Tages in die Luft fliegt.«
    »Lieber Marneffe, man kann nur mit viel Geduld ein Ziel erreichen! Unter zwei Monaten können Sie nicht Kanzleidirektor werden, wenn Sie es überhaupt jemals werden. Da ich genötigt bin, meine eigene Stellung zu verteidigen, kann ich eine anstößige Beförderung nicht durchsetzen.«
    »Wenn Sie abgesägt sind, werde ich niemals Kanzleidirektor!« sagte Marneffe kalt »Lassen Sie mich rasch noch befördern! Es wird Ihnen nichts nützen und nichts schaden!«
    »Ich soll mich also für Sie opfern?« fragte der Baron.
    »Wenn Sie anders handelten, hätte ich mich sehr in Ihnen getäuscht«, erwiderte Marneffe.
    »Sie sind gar zu sehr Marneffe, Herr Marneffe!« sagte der Baron, erhob sich und bedeutete dem Untergebenen die Tür.
    »Herr Baron, ich habe die Ehre, mich zu empfehlen!« antwortete Marneffe ergeben.
    Ein niederträchtiger Schuft! murmelte der Baron vor sich hin. Das war eine veritable Drohung!
    Zwei Stunden später, gerade als der Baron fertig war, Claude Vignon zu informieren, den er ins Justizministerium senden wollte, damit er Erkundigungen bei dem Gericht einzöge, in dessen Bereich sich Hans Fischer aufhielt, kam Valeries Kammermädchen, Regina, in das Geschäftszimmer Hulots und übergab ihm ein Briefchen, auf dessen Beantwortung sie zu warten hätte.
    Das Dienstmädchen hierher zu schicken! sagte der Baron bei sich. Valerie ist toll! Sie kompromittiert uns alle zusammen und macht die Beförderung ihres abscheulichen Marneffe immer unmöglicher!
    Er verabschiedete den Privatsekretär des Ministers und las den Brief:
    »Mein lieber Freund!
    Ach, was für einen Auftritt habe ich soeben erduldet! Wenn Du mich seit drei Jahren beglückt hast, so habe ich das heute ordentlich bezahlt. Mein Mann ist in einem schauderhaften Wutzustande vom Amt heimgekehrt. Daß er ein häßlicher Kerl ist, wußte ich ja immer, aber heute war er ein Scheusal. Seine vier echten Zähne wackelten nur so. Er hat mir seine ekelhafte Intimität angedroht, wenn ich Dich je wieder empfinge. Mein armer Liebling, unsere Tür wird Dir von jetzt an verschlossen sein. Du siehst, wie ich weine! Meine Tränen fallen auf das Papier und machen es feucht. Wirst Du lesen können, was ich schreibe, lieber Hektor? Dich nicht mehr sehen, auf Dich verzichten, wo ich ein Stück von Dir in mir trage, als trüge ich Dein Herz in mir! Ach, ich möchte am liebsten sterben! Denke an unsern kleinen Hektor! Verlaß mich nicht; aber entehre Dich nicht für Marneffe, gib seinen Drohungen nicht nach! Ach, ich liebe Dich, wie ich niemals geliebt habe. Ich gedenke aller Opfer, die Du Deiner Valerie gebracht; sie ist nicht undankbar und wird es nie sein. Du, nur Du bist mein Gatte! Laß die Sache mit den zwölfhundert Francs Rente, um die ich Dich für das Kleine gebeten habe, das in einigen Monaten kommen wird. Ich will Dich nichts mehr kosten; aber was mein ist, das ist immerdar auch Dein!
    Mein lieber Hektor, wenn Du mich ebenso liebtest wie ich Dich, dann nähmst Du Deinen Abschied. Wir ließen beide unsere Familien, unsere Sorgen, alle Anhängsel des alten Lebens, wo es so viel Haß gab, und gingen mit Lisbeth in ein hübsches Winkelchen der Bretagne oder wohin Du möchtest. Dort würden wir einsam leben und glücklich sein, fern von der ganzen Gesellschaft. Deine Pension und das wenige, was ich persönlich besitze, wird uns genügen. Du bist eifersüchtig, gut: Du sollst Deine Valerie einzig und allein mit ihrem Hektor beschäftigt sehen. Du brauchtest nie zu jammern wie neulich. Ich werde nie mehr als ein Kind, unseres, haben; sei dessen sicher. Du lieber alter Brummbär.
    Du kannst Dir meine Wut gar nicht vorstellen, denn da müßtest Du erst wissen, wie er mich behandelt und was für Gemeinheiten er von Deiner Valerie gesagt hat! Seine Worte würden das Papier beschmutzen. Eine Frau wie ich, eines Marschalls Tochter, soll derartiges in ihrem ganzen Leben nicht ein zweites Mal hören! Ach, hätte ich Dich dagehabt, um ihn mit dem Anblick der sinnlosen Leidenschaft zu strafen, die ich für Dich habe. Mein Vater hätte den Elenden niedergestochen. Ich kann nur tun, was eine Frau kann: Dich rasend lieben! Deshalb, mein Liebling, ist es mir in meiner erbitterten Stimmung auch unmöglich, auf Deine Besuche zu

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