Tante Lisbeth (German Edition)
verzichten. Ich will Dich heimlich sehen, alle Tage! So sind wir Frauen nun einmal. Dein Haß ist mein Haß! Wenn Du mich liebst, so mache ihn um Himmels willen nicht zum Kanzleidirektor! Er soll als das sterben, was er ist.
Zur Stunde schwindelt mir der Kopf noch; ich höre in einem fort seine Beleidigungen. Tante Lisbeth, die mich verlassen wollte, hat Mitleid mit mir und bleibt noch ein paar Tage.
Mein süßer Liebling, ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Ich denke vorläufig an die Flucht. Ich habe stets für das Land geschwärmt, für die Bretagne oder das Languedoc. Ich richte mich aber ganz nach Dir, vorausgesetzt, daß ich Dich ungehindert lieben kann. Du Ärmster, wie beklage ich Dich! Nun bist Du also gezwungen, zu Deiner alten Adeline zurückzukehren, dieser Tränenbüchse. Mein Mann, das Scheusal, will mich nämlich Tag und Nacht bewachen. Er hat sogar von der Polizei usw. gesprochen. Komme ja nicht! Ich weiß, daß er zu allem fähig ist; er hat von jeher die gemeinste Spekulation mit mir getrieben. Ich möchte Dir auch alles wiedergeben, was Deine Großmut mir geschenkt. Mein lieber Hektor, ich mag gefallsüchtig sein und bin Dir leichtsinnig erschienen, aber da verkennst Du Deine Valerie! Sie hat Dich manchmal gern gequält, aber sie zieht Dich allem in der Welt vor. Man wird Dich nicht verhindern können, Tante Lisbeth zu besuchen; ich werde mit ihr Mittel und Wege ersinnen, Dich sprechen zu können. Schreibe mir um Himmels willen ein paar Zeilen, Schatz, und beruhige mich! Deine liebe Nähe fehlt mir so! Ach, was würde ich nicht alles hingeben, wenn ich Dich dafür neben mir haben könnte! Ein Brief von Dir wird wie ein Zauber auf mich wirken. Schreibe mir Worte, die Deine ganze liebe Seele enthalten! Ich werde Dir den Brief zurückgeben; denn wir müssen vorsichtig sein; ich kann ihn nicht verstecken, denn er durchsucht alles. Kurz, beruhige Deine Valerie, Dein Weib, Deines Kindes Mutter! Ach, daß ich nun gezwungen bin, Dir zu schreiben, wo ich Dich täglich zu sehen gewohnt bin! Ich habe schon zu Lisbeth gesagt: Ich habe mein Glück gar nicht gekannt!
Tausend Küsse, Geliebter! Behalte recht lieb
Deine Valerie.«
»Tränen um mich!« flüsterte Hulot vor sich hin, als er den Brief zu Ende gelesen hatte. »Wie geht es der gnädigen Frau?« fragte er das Kammermädchen.
»Die gnädige Frau liegt zu Bett; sie hat Krämpfe«, antwortete das Mädchen. »Der Nervenanfall hat die gnädige Frau zu einem Häufchen Unglück gemacht. Kaum hatte sie den Brief geschrieben, da hat der Anfall sie gepackt. Weil sie so geweint hatte! Man konnte die Stimme des Herrn Marneffe draußen auf der Treppe hören!«
In seiner Bestürzung schrieb der Baron folgenden Brief auf amtlichem, mit Aufdruck versehenem Papier:
»Mein Engel!
Beruhige Dich: er soll als simpler Sekretär abfahren! Dein Gedanke ist ausgezeichnet. Wir werden fern von Paris leben und mit unserm kleinen Hektor glücklich sein. Ich werde meinen Abschied nehmen und schon eine gute Stelle bei irgendeiner Eisenbahngesellschaft finden. Ach, liebste Freundin, ich fühle mich durch Deinen Brief verjüngt! Ich fange mein Leben wieder von vorn an, und – Du sollst es sehen – ich erarbeite unserm lieben Kleinen ein Vermögen. Als ich Deinen Brief las, der tausendmal glühender ist als die Briefe der Neuen Heloise, habe ich Wunder erlebt. Ich hätte nicht geglaubt, daß meine Liebe zu Dir noch wachsen könnte. Heute abend wirst Du bei Tante Lisbeth sehen
Deinen Hektor, der auf ewig der Deine ist.«
Das Mädchen nahm die Antwort mit, den ersten Brief, den der Baron an seine »liebste Freundin« geschrieben hatte. Diese Gemütsbewegung bildete ein Gegengewicht zu der nahenden Katastrophe. Augenblicklich sorgte sich der Baron, im Glauben, das Unglück von seinem Onkel Hans Fischer abwenden zu können, nur um das ihm fehlende Geld.
Eine der Eigentümlichkeiten der Bonapartisten ist ihr Glaube an die Macht des Säbels. Das Militär steht ihnen über den Zivilbehörden. Hulot lachte über den Staatsanwalt aus Algier, wo doch das Kriegsministerium zu herrschen hatte. Der Mensch bleibt immer, was er war. Offiziere bleiben Offiziere. Der kaiserliche Gardist konnte nicht vergessen, daß die Bürgermeister der Städte und die kaiserlichen Präfekten, selber Fürsten in ihren Bereichen, einst den durchmarschierenden Gardegeneralen an der Grenze ihrer Bezirke entgegenkamen, sie feierlich begrüßten und ihnen die höchsten Ehren erwiesen.
Halb fünf
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